Erzbischof Marcel Lefebvre: Der Kodex der Vollkommenheit
Predigt in Ecône an Allerheiligen 1976
… Es gibt aber Bedingungen, um in den Himmel zu gelangen. Unser Herr hat es in der Bergpredigt nicht unterlassen, uns zu sagen, dass es ein schmaler Weg ist. In der Bergpredigt erinnert es uns daran, dass der Weg, der in den Himmel führt, kein leichter Weg ist und dass es leider nicht alle schaffen. Zweifelsohne sind diejenigen, die es nicht schaffen, selber schuld und es ist nicht der Fehler Unsers Herrn. Daher ist es wichtig, die Bergpredigt genauer zu betrachten.
Im ersten Teil geht es um die Glückseligkeiten. Wir staunen über diese Glückseligkeiten, die dem Geist der Welt widersprechen; welche wiederum dem Glück widerspricht, an dem wir gerne schon hier auf Erden teilhaben möchten. Denn Unser Herr sagt, selig sind die, die hienieden verfolgt werden, selig, die leiden und die verschmäht und verleumdet werden, sie werden einen großen Anteil am Himmel und Reiche Gottes haben. Das alles entspricht nicht dem, was die Welt sich wünscht. Die Welt mag kein Leid, die Welt möchte nicht verachtet werden.
Aber das ist noch nicht alles. Unser Herr spricht anschließend von einer Liebe, die noch größer sei als die der Schriftgelehrten und Pharisäer. Er spricht von einer Liebe, die alles übersteigt, was wir uns vorstellen können. Unser Herr zögert nicht zu sagen: Wenn jemand bittet, ihn ein Stück des Weges zu begleiten, dann tut doppelt so viel, begleitet ihn über dasjenige hinaus, was er erbittet. Wenn euch jemand verachtet und wenn es euer Feind ist, so liebt ihn. Liebet eure Feinde. Liebt nicht nur eure Freunde. Ihr habt wohl eine äußere Liebe und erweist sie nach außen: Zeigt sie nicht nur äußerlich, bringt sie auch innerlich zum Ausdruck.
Wenn ihr von der Sünde versucht werdet, so dürft ihr der Versuchung nicht nachgeben, auch nicht innerlich. Jesus sagt es ganz ausdrücklich: Es genügt nicht, Ehebruch nicht zu begehen, man darf nicht einmal den leisen Wunsch danach in seinem Herzen haben.
Wenn ihr betet, betet nicht nur äußerlich; zeigt euer Gebet nicht nach außen, damit die Leute es sehen und euch bewundern und schätzen. Sondern betet in eurem Zimmer; schließt euch in eure Zellen ein und betet wahrhaftig zu Gott.
Genau an dieser Stelle lehrt uns Christus dann das wunderbare Gebet, das Paternoster, das Vaterunser. Wenn ihr vollkommen sein wollt, so seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater es ist – das fasst die ganze Bergpredigt zusammen: wie euer himmlischer Vater vollkommen ist. Das findet man im Gebet, im Paternoster: Der Wille Gottes geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden.
Der liebe Gott verlangt also von uns eine sehr große Vollkommenheit. Er ist sehr anspruchsvoll mit uns. Und der liebe Gott, der diese so große und so anspruchsvolle Liebe von uns verlangt, gibt uns auch die Mittel, sie zu verwirklichen. Zuerst durch das Gebet. Wenn wir vollkommen sein wollen, müssen wir beten. Wir müssen alles von Unserem Herrn Jesus Christus erbitten. Denn durch uns selbst können wir nicht mehr zu dieser Vollkommenheit gelangen. Nur durch die Gnade Gottes können wir es schaffen.
Wie können wir diese Gnade Unseres Herrn erlangen, diese übernatürliche Gnade, die aus uns Kinder Gottes macht? Wir erhalten sie durch das Gebet und die Sakramente. Wir müssen die Sakramente gerne empfangen, vor allem das Bußsakrament und die hl. Eucharistie. So erhalten wir wahrhaftig in uns das Leben Unseres Herrn Jesus Christus, das uns helfen wird, diese Vollkommenheit zu praktizieren, die Jesus verlangt.
Und das ist vor allem heutzutage besonders wichtig, es ist sehr wichtig für uns, die wir Unserem Herrn Jesus Christus folgen wollen; die wir ihn als unseren König ehren wollen; die wir ihn als unser Vorbild ansehen wollen. Bekennen wir es nicht nur mit den Lippen und Worten, sondern leben wir es auch. Zeigen wir denen, die uns kritisieren und meinen, wir würden uns von Unserem Herrn und von der Kirche entfernen, dass wir ganz im Gegenteil wahre Kinder der Kirche sind, Kinder Gottes, Kinder Unseres Herrn Jesus Christus. Und zwar durch das Ausüben der Tugenden, wie es Unser Herr Jesus Christus von uns verlangt. Im Besonderen die Liebe: die echte Liebe, nicht die Liebe, die aus Kompromissen und Preisgabe besteht, sondern die Liebe, die die Liebe der Wahrheit und der Gnade Unseres Herrn Jesus Christus ist.
Bitten wir die Heilige Jungfrau Maria um ihre Hilfe, nach diesem Kodex der Vollkommenheit zu leben, die Unser Herr auf dem Berge gepredigt hat. Bitten wir die Heilige Jungfrau Maria um diese Gnade, die Ratschläge Unseres Herrn Jesus Christus zu befolgen. Und so dürfen wir hoffen, zu denen zu gelangen, die im Himmel sind.