Erzbischof Marcel Lefebvre: Audienz bei Paul VI. am 11. September 1976
Am 18. September 1976 hielt Erzbischof Marcel Lefebvre in Ecône eine Ansprache an seine Seminaristen über seine Audienz bei Papst Paul VI., die am 11. September 1976 in Castel Gandolfo stattfand.
Zur Vorgeschichte: Erzbischof Lefebvre war am 5. September 1976 in Besançon gerade dabei war, die Primizmesse des Pater Patrick Groche [geweiht in der Zeremonie am 29. Juni 1976 in Ecône, die zur ungerechten Suspendierung von Erzbischof Marcel Lefebvre führte] vorzubereiten, erschien ein allen unbekannter Weltpriester aus Rom, Don Domenico Labellarte, der übrigens 20 Jahre in San Giovanni Rotondo bei Padre Pio gewesen war, und bat dringend, Erzbischof Lefebvre in einer sehr wichtigen Sache sprechen zu dürfen.
Nach der heiligen Messe teilte er Erzbischof Lefebvre mit, sein Oberer, der Erzbischof von Chieti, habe vor kurzem mit dem Heiligen Vater ein Gespräch gehabt, bei dem ihm der Heilige Vater seinen Wunsch anvertraut habe, mit Erzbischof Lefebvre zu sprechen. Erzbischof Antonio Valentini von Chieti-Vaste (Abruzzie Molise) hatte auf dem Konzil beim Coetus Internationalis Patrum eine führende Rolle gespielt. Erzbischof Lefebvre wollte zunächst mit dem Hinweis auf seine seit fünf Jahren erfolglosen Bemühungen um eine Audienz bei Paul VI. von einer Reise nach Rom nichts wissen, war aber dann auf das beharrliche Drängen Don Labellartes hin unter der Bedingung bereit nach Rom zu kommen, daß ihn Erzbischof Valentini zum Heiligen Vater begleite. In Rom erbat sich Don Labellarte ein ganz kurzes Schreiben an den Heiligen Vater, das nur einige wenige Zeilen gebührender Höflichkeit zu enthalten brauche.
Erzbischof berichtet den Seminaristen über die Audienz am 11. September:
«Wir sind dann am Donnerstag [9. September 1976] nach Albano [Haus der Bruderschaft bei Rom] gekommen. Freitag früh habe ich diesen Pater [Domenico Labellarte] in Rom getroffen und er hat mir gesagt: „Wenn Sie ein paar Worte schreiben könnten, um eine Audienz zu erbitten, ein kurzes Wort an den Heiligen Vater, werde ich es hinbringen. Wir werden es nach Castelgandolfo bringen.” Ich habe also ein sehr kurzes Wort geschrieben, sehr kurz, und habe gesagt:
„Heiliger Vater! Mögen Eure Heiligkeit geruhen, die Versicherung meiner respektvollen Verehrung entgegenzunehmen. Wenn gewisse Ausdrucksweisen in meinen Worten oder Schriften Eurer Heiligkeit mißfallen haben, so bedaure ich das lebhaft. Und ich würde jedenfalls sehr glücklich sein, Sie treffen zu können, eine Audienz von Ihnen zu erhalten” und habe unterschrieben. Der Pater hat das Papier nicht einmal gelesen, hat es in einen Briefumschlag gesteckt, diesen verschlossen und die übliche Formel für den Heiligen Vater darauf geschrieben. Dann sind wir nach Castelgandolfo gefahren.
Dort hat sich alles ganz anders abgespielt, als die Zeitungen berichtet haben, wie auch heute „Le Monde”. Sie berichten ganz falsche Geschichten. Man sagt, daß ich mit diesem Pater Erzbischof Macchi zu treffen suchte, der gerade mit dem Heiligen Vater im Garten von Castelgandolfo promenierte, sodaß ich den Heiligen Vater gar nicht gesehen habe. Es war aber der Pater, Don Domenico Labellarte, der dort hingegangen ist nach Castelgandolfo, und mir dann berichtet hat, daß er Erzbischof Macchi angetroffen habe. Wir hatten uns an einen Tisch im Kaffeehaus gegenüber dem Palais Castelgandolfo gesetzt, um zu warten, weil er uns gesagt hatte: „Ich gehe und werde Ihnen vielleicht sofort die Antwort geben können.” Er ist gegangen und mit der Nachricht zurückgekommen: „Nein ich kann Ihnen die Antwort nicht sofort geben.” Erzbischof Macchi war tatsächlich in den Gärten von Castelgandolfo und hat den Heiligen Vater begleitet. P. Domenico hat mir daher gesagt, daß er mich am Abend zwischen sechs und sieben Uhr anrufen werde.
Wir sind also mit dem Pater nach Albano zurückgekehrt und haben unsere Mahlzeit eingenommen. Dann hat ihn Herr Pedroni wieder nach Castelgandolfo zurückgeführt, wo er vermutlich Erzbischof Macchi getroffen hat und uns nach Albano telephoniert hat: „Also Sie haben Ihre Audienz morgen um halb elf Uhr.” Ich gestehe, daß ich etwas verblüfft war, denn immerhin: so schnell und fast ohne Vorbereitung! Am nächsten Tag, am Samstag [11. September] um Viertel nach zehn Uhr haben wir uns nach Castelgandolfo begeben. Dort hatten, glaube ich, die hll. Engel alle Angestellten des Vatikans verjagt, denn wie ich eingetreten bin, waren dort nur am Eingang die zwei Schweizergardisten, dann habe ich nur Erzbischof Maggi angetroffen, nicht Erzbischof Macchi, sie haben fast den gleichen Namen. Erzbischof Maggi, der Kanadier, hat mich zum Lift begleitet und dort war nur der Liftboy, sonst niemand. Wir sind alle drei zum ersten Stock hinaufgefahren und dort habe ich, begleitet von Erzbischof Maggi, alle Säle durchschritten. Es waren mindestens sechs oder sieben, bevor man zum Arbeitszimmer des Heiligen Vaters kommt: keine Seele weit und breit. Für gewöhnlich — ich bin zur Zeit der Päpste Pius XI., Pius XII., Johannes XXIII., ja selbst Pauls VI. oft in Privataudienz gewesen — waren da immer mindestens ein Schweizergardist, mindestens ein Gendarm, immer einige Personen, ein Geheimkämmerer, ein Monsignore. Sie waren da und sei es nur, um nach dem Rechten zu sehen, um Zwischenfälle zu vermeiden. Aber jetzt waren die Säle leer, völlig leer!
Ich bin also zum Arbeitszimmer des Heiligen Vaters gegangen, wo ich ihn angetroffen habe und neben ihm Erzbischof Benelli: Ich habe den Heiligen Vater gegrüßt, dann Erzbischof Benelli und dann hat man sich sofort niedergesetzt und die Audienz hat begonnen.
Der Heilige Vater war anfangs eher erregt, man kann fast sagen in gewisser Weise etwas heftig. Man sah ihm an, daß er tief verletzt war und etwas gereizt bei dem Gedanken an das, was ich tue, was wir tun. Er hat mir gesagt: „Sie verurteilen mich, Sie verurteilen mich! Ich bin Modernist! Ich bin Protestant! Das ist unzulässig! Sie führen eine üble Sache! Sie dürfen das nicht fortsetzen. Sie verursachen einen Skandal in der Kirche . . .!”etc. Alles war in erheblicher Erregtheit gesprochen. Und ich habe natürlich geschwiegen.
Dann sagte er mir: „Also sprechen Sie jetzt, sprechen Sie. Was haben Sie zu sagen?”
Ich habe ihm gesagt: „Ich komme nicht als Anführer der Traditionalisten. Sie haben mir gesagt ich sei der Anführer der Traditionalisten. Ich leugne absolut, der Anführer der Traditionalisten zu sein. Ich bin nur ein Katholik, ein Priester, ein Bischof unter Millionen Katholiken, unter tausenden Priestern und zweifellos auch anderen Bischöfen, und wir sind zerrissen, hin- und hergerissen in unserem Gewissen, in unserem Geist, in unserem Herzen. Einerseits haben wir den Wunsch, Ihnen gänzlich unterworfen zu sein, Ihnen zu folgen, in allem ohne den geringsten Vorbehalt bezüglich Ihrer Person. Andererseits aber stellen wir fest, daß die Richtungen, die der Heilige Stuhl seit dem Konzil vertritt, diese ganz neuen Richtungen uns von Ihren Vorgängern entfernen. Also was sollen wir tun? Wir befinden uns in der Lage, daß wir uns entweder an Ihre Vorgänger anschließen müssen oder wir müssen uns an Ihre Person anschließen und uns von Ihren Vorgängern trennen. Es ist eine unwahrscheinliche Zerrissenheit, für Katholiken unfaßbar. Und das habe nicht ich hervorgerufen, das ist nicht eine Bewegung, die ich ins Leben gerufen habe, es ist ein Gefühl, das den Herzen der Gläubigen entspringt, von Millionen von Gläubigen, die ich gar nicht kenne. Ich weiß auch nicht, wieviele es sind. Es gibt sie auf der ganzen Welt, überall. Alle sind beunruhigt über diese Zerrüttung, die seit zehn Jahren in der Kirche festzustellen ist, über die Ruinen, deren in der Kirche immer mehr werden. Sehen Sie die Beispiele: es gibt eine grundlegende Haltung bei den Leuten, eine innerliche Haltung, die bewirkt, daß sie diese Haltung jetzt nicht mehr ändern werden. Sie werden sie nicht mehr ändern, weil sie ihre Wahl getroffen haben. Sie haben sich für die Tradition entschieden, für jene, die die Tradition aufrecht erhalten. Betrachten Sie das Beispiel der Ordensfrauen, die ich vor zwei Tagen gesehen habe. Gute Ordensfrauen, die ihr Ordensleben bewahren wollen, die die Kinder so unterrichten, wie es die Eltern haben wollen. Viele Eltern bringen ihnen ihre Kinder, weil sie bei diesen Ordensfrauen eine katholische Erziehung erhalten werden. Das sind Ordensfrauen, die ihr Ordenskleid beibehalten, und nur weil sie das Gebet aller Zeiten, den Katechismus aller Zeiten beibehalten wollen, werden sie exkommuniziert, wurde ihre Generaloberin abgesetzt. Fünfmal ist der Bischof gekommen, um von ihnen zu verlangen, daß sie ihr Ordenskleid ablegen, weil sie in den Laienstand zurückversetzt worden seien. Die Leute, die das sehen, verstehen das nicht mehr. Und gleichzeitig werden Ordensfrauen, die ihr Ordenskleid ablegen, die alle Eitelkeiten der Welt annehmen, die keine Ordensregel mehr beobachten, die nicht mehr beten, offiziell von den Episkopaten anerkannt und niemand macht ihnen den geringsten Vorwurf. Die Leute auf der Straße, die armen Christen, die das sehen, können das nicht hinnehmen. Bei den Priestern ist das ebenso. Die guten Priester, die ihre Messe korrekt lesen, die beten, die im Beichtstuhl sitzen, die die wahre Lehre predigen, die Kranken besuchen, die ihre Soutane tragen, die noch von ihrem Volk geliebte Priester sind, weil sie die Messe aller Zeiten bewahren, die Messe ihrer Priesterweihe, weil sie den Katechismus aller Zeiten bewahren, die werden auf die Straße gesetzt wie schändliche Verbrecher, sozusagen exkommuniziert. Die Priester hingegen, die in die Fabriken gehen, die nicht mehr das priesterliche Kleid tragen, sodaß man nicht weiß, wer und was sie sind, die die Revolution predigen, die werden offiziell anerkannt, niemand sagt ihnen irgendetwas. Und bei mir ist es das Gleiche. Ich versuche Priester auszubilden, gute Priester, wie man sie einstens ausgebildet hat, es kommen viele Berufungen zu uns, diese jungen Leute werden von der Bevölkerung, die sie sieht, bewundert, in den Zügen, in der Untergrundbahn, überall grüßt man sie, beglückwünscht man sie zu ihrem Kleid, zu ihrer Haltung — und ich werde a divinis suspendiert! Aber die Bischöfe, die keine Seminaristen mehr haben, die keine jungen Priester mehr haben, die nichts mehr haben, oder die Seminare haben, die keine guten Priester mehr ausbilden, denen sagt man nichts! Sie werden verstehen, daß der einfache Christ, der verlassene Christ das klar erkennt. Er hat sich entschieden, er wird sich nicht mehr rühren. Es ist aus. Es ist unerträglich!”
„Das ist nicht wahr! Sie bilden keine guten Priester aus!” hat er mir gesagt, „weil Sie sie einen Eid gegen den Papst schwören lassen!”
„Wie? Einen Eid gegen den Papst? Ich einen Eid gegen den Papst! Ich trachte ihnen im Gegenteil, die Ehrfurcht vor dem Papst, vor dem Nachfolger Petri beizubringen. Wir beten für Sie. Wir beten für den Heiligen Vater. Nie werden Sie mir diesen Eid zeigen können, den sie gegen den Papst ablegen! Können Sie mir eine Kopie davon geben?”
Und jetzt haben die Berichterstatter des Vatikans in der heutigen Zeitung, wo Sie es lesen können, gesagt, der Vatikan dementiert und erklärt, es sei nicht wahr, daß der Heilige Vater mir das gesagt habe! Der Heilige Vater habe mir nicht gesagt, daß ich meine Seminaristen und meine jungen Priester einen Eid gegen den Papst schwören lasse. Aber wie hätte ich das erfinden können? Das ist doch unvorstellbar! Sie dementieren das jetzt. „Der Heilige Vater hat das nicht gesagt!” Es ist unerhört! Und ich habe natürlich keine Bandaufnahme. Ich habe das ganze Gespräch auch nicht niedergeschrieben, also habe ich auch keinen konkreten Beweis für das Gegenteil, sondern nur einfach meine Reaktion! Ich kann meine Reaktion auf diese Behauptung des Heiligen Vaters nicht vergessen. Ich sehe mich noch mit dieser Geste: „Aber wie ist das möglich, Heiliger Vater, daß Sie mir etwas Derartiges sagen! Können Sie mir die Kopie dieses Eides zeigen?” Und jetzt sagen sie, es ist nicht wahr. Es ist unerhört!
Der Heilige Vater sagte mir weiters: „Nicht wahr, Sie verurteilen mich?” Ich hatte den starken Eindruck, daß er das immer etwas auf seine Person bezog, daß er sich persönlich verletzt fühlte: „Sie verurteilen mich! Also was soll ich tun? Soll ich demissionieren und dann werden Sie an meinen Platz treten?” Da habe ich die Hände über meinem Kopf zusammengeschlagen: „Aber Heiliger Vater, sagen Sie doch so etwas nicht! Nein, nein, nein, nein!”
Dann habe ich gesagt: „Heiliger Vater wenn Sie erlauben rede ich weiter: Sie haben die Lösung des Problems in Ihrer Hand. Sie brauchen den Bischöfen nur ein Wort zu sagen: ,Empfangen Sie brüderlich, verständnisvoll und mit Liebe alle diese Gruppen von Traditionalisten, alle die das Gebet von ehedem, die Sakramente von ehedem, den Katechismus von ehedem bewahren wollen. Nehmen Sie sie auf, geben Sie ihnen Orte für den Kult, einigen Sie sich mit ihnen so, daß sie beten können, daß sie mit Ihnen in Verbindung bleiben können, daß sie mit ihrem Bischof innerlich verbunden bleiben können.- Sie müßten nur ein Wort an die Bischöfe richten und alles käme in Ordnung, wir hätten augenblicklich keine Probleme mehr. Die Dinge würden in Ordnung kommen. Und es wäre für mich mit meinem Seminar auch nicht mehr schwierig, die Bischöfe aufzusuchen und sie zu bitten, die Niederlassung meiner Priester in ihrer Diözese zu erlauben. Alles würde sich normal regeln. Ich würde gerne mit einer Kommission in Beziehung treten, die Sie aus der Heiligen Kongregation für die Ordensleute ernennen könnten und die in mein Seminar kommen würde. Aber natürlich werden wir und wollen wir auch weiterhin unsere Erfahrungen mit der Tradition machen. Ich möchte durchaus mit dem Heiligen Stuhl und mit den Heiligen Kongregationen wieder in normale und offizielle Beziehung treten. Ich wünsche mir nichts mehr als das.” Daraufhin hat er mir gesagt: „Ich muß darüber nachdenken, ich muß beten, ich muß das Konsistorium befragen, ich muß die Kurie befragen, ich kann Ihnen keine Antwort geben. Wir werden sehen.”
Dann sagte er mir: „Wir werden zusammen beten”, und ich: „Sehr gerne, Heiliger Vater.” Wir beteten laut das Vaterunser, das „Veni Sancte Spiritus”, das Ave Maria, und dann führte er mich sehr liebenswürdig hinaus, etwas schwerfällig, er ging mühsam, er zog ein wenig die Beine nach. Im Saal nebenan wartete er, bis Don Domenico mich holen kam und ließ Don Domenico eine kleine Medaille geben. Dann haben wir uns getrennt. Erzbischof Benelli aber hatte den Mund nicht aufgemacht. Er hat die ganze Zeit nur geschrieben, wie ein Sekretär. Er hat mich nicht im mindesten gestört. Seine Gegenwart war wie nicht vorhanden. Ich glaube, er hat auch den Heiligen Vater nicht gestört, ganz so wie mich, denn er hat ja nicht den Mund aufgemacht, hat nichts von sich gegeben.
Ich habe dem Heiligen Vater noch zweimal wiederholt, die Lösung des Problems sei in seiner Hand. Und er hat auch seine Zufriedenheit über die Möglichkeit zu dieser Unterredung, diesem Dialog geäußert. Ich habe ihm gesagt, daß ich ihm immer zur Verfügung stehe. Dann sind wir gegangen.
Seither hat man in den Zeitungen alles mögliche erzählt, die phantastischesten Erfindungen. Ich hätte alles akzeptiert, ich hätte mich völlig unterworfen. Dann hat man das Gegenteil behauptet: ich hätte nichts akzeptiert, ich hätte in nichts nachgegeben. Und jetzt sagt man praktisch, ich hätte gelogen, ich würde Dinge erfinden, die ich mit dem Heiligen Vater besprochen habe. Man hat den Eindruck, daß alle so wütend sind, daß diese Audienz stattgefunden hat, ohne daß sie vorgesehen, ohne daß sie auf dem üblichen Weg zustande gekommen war, daß jetzt mit allen Mitteln versucht wird, sie in Verruf zu bringen und mich auch noch zu verleumden. Man befürchtet offensichtlich, daß diese Audienz mir bei vielen Leuten wieder Sympathien einbringt, die sich sagen: Wenn Erzbischof Lefebvre jetzt den Heiligen Vater besucht hat, dann hat man keine Probleme mehr, er steht ja mit dem Heiligen Vater wieder auf gutem Fuß. Tatsächlich waren wir ja nie gegen den Heiligen Vater, wir haben uns immer gewünscht, im Einverständnis mit ihm zu sein.
Ich habe ihm übrigens gerade wieder geschrieben, weil Kardinal Thiandoum derartig darauf bestanden hat, ein paar Zeilen von mir zu bekommen, die er dem Heiligen Vater bringen könnte, sodaß ich ihm gesagt habe: Gut, ich werde einen kurzen Brief an den Heiligen Vater schreiben (obwohl ich finde, daß das nur zu einer nie endenden Korrespondenz führen kann), ich werde gern dem Heiligen Vater danken, daß er mir diese Audienz gewährt hat. Das habe ich auch getan. Ich habe mich beim Heiligen Vater bedankt.
Der Heilige Vater hat ja im Lauf unserer Unterredung gesagt: „Wir haben also wenigstens einen gemeinsamen Wunsch, wir wünschen uns beide, alle heute in der Kirche bestehenden Mißbräuche abzustellen und der Kirche ihr wahres Antlitz wiederzugeben etc. . . .” Darauf habe ich geantwortet: „Ja, durchaus!” So habe ich also in meinem Brief geschrieben, daß ich vollkommen bereit wäre, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er habe mir ja während meiner Audienz gesagt, daß wir wenigstens ein gemeinsames Interesse hätten, nämlich der Kirche ihr wahres Antlitz zurückzugeben und allen Mißbrauch in der Kirche abzustellen. Ich sei vollkommen bereit, da mitzuarbeiten, auch unter seinem Befehl. Ich glaube, ich habe da nichts gesagt, was mich zu sehr binden könnte, denn das ist ja das, was wir tun, der Kirche ihr wahres Antlitz wiedergeben. Damit wird sich für uns nichts ändern, wohlgemerkt, nicht das geringste wird sich ändern. Was glaube ich wichtig ist, ist die weltweite öffentliche Meinung, die sich nach allen jenen Ereignissen gezeigt hat und die bewirkt hat, daß der Heilige Stuhl diesen Erschütterungen gegenüber nicht gleichgültig bleiben konnte und gesehen hat, daß es doch viele sind, die gegen diese Änderungen wahrhaft aufgebracht waren, viel mehr als er sich vermutlich gedacht hat. So wurde offenbar, was sich viele Herzen im stillen gedacht haben, aber nicht gewagt haben, das laut auszusprechen. Jetzt wagen sie es künftig zu sagen, weil sie wissen, daß sie nicht mehr allein sind.
Andererseits glaube ich, daß die Intervention der französischen Regierung hier auch kein zu vernachlässigender Faktor war. Ich habe mit dieser Intervention absolut nichts zu tun, ich habe keinen einzigen Vertreter der französischen Regierung besucht. Wenn sie mir schreiben und wenn sie mich besuchen, dann bin ja nicht ich zu ihnen gekommen. Aber jedenfalls habe ich den Eindruck, daß die französische Regierung bezüglich der Wahlen im März des kommenden Jahres etwas beunruhigt war. Es ist klar, daß sie sich nur davon haben leiten lassen, nur das war es, was auch sie hier in Bewegung gesetzt hat. Was etwa beim Heiligen Stuhl die öffentliche Meinung bedeutete, bedeuteten bei ihnen die Wahlen. Da also Giscard d'Estaing mit nur wenigen Mehrstimmen gewählt wurde, könnte es sein, daß die traditionalistischen Katholiken aus Ärger, daß man sich nicht mit ihnen befaßt, denn die Regierung will sich nicht mit ihnen befassen, erklären: gut, dann werden wir euch nicht wählen, und das bedeutet ihren Sturz. Eine ganz einfache Rechnung — nicht schwer. Sie waren also beunruhigt, und ich glaube, sie müssen aus diesem Grund beim Heiligen Stuhl interveniert haben. So hat man es mir gesagt, ich weiß nicht, ob es wahr ist, ich glaube, Don Domenico hat es mir gesagt, aber ich kann mich nicht mehr genau erinnern, ob der Heilige Vater von der französischen Regierung oder von der französischen Botschaft angerufen wurde, um ihn zu bitten und auf ihn einzuwirken, daß er mich mit Verständnis und Güte empfangen solle. Es ist möglich. Es ist aber auch möglich, daß die französische Regierung vielleicht auf den Heiligen Stuhl Druck ausgeübt und erklärt hat: „Wenn es Ihnen nicht gelingt, eine Lösung dieses Problems zu finden, werden wir es versuchen.” Und wie hätten sie diese finden können? Ganz einfach indem sie den Traditionalisten helfen. Es gibt eine Unzahl von Kirchen, die leer sind und die der Regierung gehören, Kirchen, in die niemand mehr kommt. Es würde der Regierung nicht schwerfallen, den Bürgermeistern der Gemeinden ein Rundschreiben zuzusenden und darin zu erklären: „Überall, wo Sie freie Kirchen haben, in die praktisch niemand mehr kommt, und wo sie Gruppen von Traditionalisten haben, mögen diese Kirchen den Traditionalisten zur Verfügung gestellt werden.” Ganz einfach! Sie werden verstehen, daß das dem Heiligen Vater zu denken gibt, denn das würde fast einer offiziellen Anerkennung der Traditionalisten in Frankreich gleichkommen. Das hätte sehr schwerwiegende Folgen, umso mehr, als die französische Regierung bei der Trennung von Kirche und Staat die Kirchen in Frankreich übernommen hat, aber gleichzeitig dem Heiligen Stuhl versprochen hat, daß diese Kirchen nur dem katholischen Kultus dienen werden. Man kann da sehr gut erklären: „Aber der katholische Kultus ist der Kultus, der immer verwendet wurde, daher haben die Traditionalisten ein Recht auf die Kirchen.” Und wenn dagegen Einspruch erhoben werden würde, könnte die Regierung den Progressisten leicht entgegenhalten: „Der Kult, den Ihr da verwendet, ist nicht katholisch. Ihr werdet die Kirchen verlassen und wir werden sie den Katholiken geben. Die Katholiken sind notwendigerweise diejenigen, die tun, was immer getan wurde, bei ihnen ist es sicher, daß das katholisch ist, weil sie die Religion ausüben, die während Jahrhunderten ausgeübt wurde, während Eure Religion keineswegs mehr katholisch erscheint. Ihr werdet also ausziehen und die Kirche jenen überlassen.” Rein rechtlich kann die Regierung das tun und das eventuell dem Heiligen Stuhl androhen. Und das könnte natürlich den Heiligen Stuhl zu einer Entscheidung zu unseren Gunsten beeinflussen. Ich meine allerdings, für den Heiligen Stuhl wäre es weit vorteilhafter, sich an die Bischöfe zu wenden als an die Regierung, als das Handeln der Regierung zu überlassen.
Jedenfalls muß man das alles im Hinblick auf die Vorsehung, im Hinblick auf Gott betrachten, denn das alles hat sich auf unwahrscheinliche Weise abgespielt. Es war vermutlich notwendig, daß ich verurteilt werde. Ich will natürlich mein armseliges Opfer nicht mit dem Opfer Unseres Herrn vergleichen, aber wir versuchen ja alle, uns Unserem Herrn und Seinem Leiden anzugleichen. „Opportebat Deum pati” — Gott mußte leiden, Er mußte gekreuzigt werden. So glaube ich, daß die vom Heiligen Stuhl über mich verhängten Strafen, die für mich sehr schmerzlich sind und sehr bedrückend, ein bißchen Ähnlichkeit damit haben. Ich glaube, daß es also notwendig war, daß ich verurteilt werde, damit dieser Skandal offenbar wird, daß die offizielle Kirche die Zerstörung der Kirche und alle jene, die die Kirche zerstören, unterstützt, und jene verurteilt, die sie aufbauen, die sie bewahren, die sie erhalten wollen. Dieser Skandal war also durch diese meine Verurteilung so groß, daß er die allgemeine öffentliche Meinung auf den Plan gerufen hat, die den Heiligen Stuhl gezwungen hat, mich zu empfangen — das war es, was auf den Heiligen Stuhl einen Einfluß ausgeübt haben mußte. Wie war es aber möglich, mich dort zu empfangen, wo eine enorme Sperrmauer errichtet worden war? Ich weiß es nicht. Hat vielleicht der Padre Pio eingegriffen? — Für diesen mutigen Pater Domenico, der mir völlig unbekannt war, von dem ich auch nie reden hörte, der aber zwanzig Jahre beim Padre Pio war, für ihn war es der Padre Pio, der das gewirkt hat. Mir wäre es sehr recht, wenn es der Padre Pio war, denn diese Sache war ein kleines Wunder: daß ich zum Heiligen Vater kommen konnte, daß ich dem Heiligen Vater sagen konnte, was sich das gläubige Volk, jedenfalls ein großer Teil des gläubigen Volkes, denkt, jene, die der Kirche treu sind, die wahren Katholiken, die wahren Gläubigen. Ich glaube, das war sehr wichtig. Jetzt, wo der liebe Gott die Dinge so gelenkt hat, müssen, glaube ich, auch wir so fortfahren und Vertrauen haben. Wir müssen jetzt mehr denn je beten, inständig beten, daß der Heilige Vater sich trotz seiner Mitarbeiter, trotz aller jener, die ihn umgeben, zu diesem Entschluß durchringt, zur Unterschrift unter ein Rundschreiben an alle Bischöfe der Welt, um diese Situation, diese unannehmbare Situation zu beenden.
Bei meinem Gespräch habe ich mich sogar auf den „Pluralismus” bezogen und ihm gesagt: „Was würde es ausmachen, wenn man angesichts dieses heutigen Pluralismus auch jenen, die die Tradition bewahren wollen, zugestehen würde, sie auf die gleiche Ebene zu stellen wie alle übrigen? Das wäre doch das mindeste, was man ihnen zugestehen könnte.” Ich habe ihm dazu noch gesagt: „Ich weiß nicht, ob sie wissen, Heiliger Vater, daß es gegenwärtig in Frankreich 23 offizielle eucharistische Hochgebete gibt.” Er hat die Hände zum Himmel erhoben und gesagt: „Aber doch viel mehr, Monseigneur, viel mehr!” Darauf habe ich ihn gebeten: „Aber wenn es schon viel mehr gibt und Sie noch eines hinzufügen, kann ich mir nicht vorstellen, wie das der Kirche schaden könnte. Ist es eine Todsünde, die Tradition fortzusetzen und zu tun, was die Kirche immer getan hat?” Sie sehen, er war scheinbar gut informiert, der Heilige Vater.
Ich glaube also, daß wir jetzt beten und durchhalten müssen. Vielleicht sind einige unter Ihnen, die, ganz natürlich, über diese Suspension a divinis und auch über meine Zurückweisung dieser Suspension a divinis etwas schockiert sein könnten. Ich kann das verstehen. Aber diese Zurückweisung muß man im Zusammenhang mit unserer ersten Zurückweisung sehen, der Weigerung, das Urteil anzunehmen, das in Rom über uns ausgesprochen wurde. Das ist alles ein und dieselbe Angelegenheit mit immer denselben begleitenden Worten, alles miteinander zusammenhängend. Ich wüßte also nicht, warum ich diese Suspension annehmen sollte, während ich das Verbot, die Priesterweihen vorzunehmen, nicht angenommen habe, die Schließung des Seminars, die Aufhebung und Vernichtung der Bruderschaft nicht angenommen habe. Ich hätte andernfalls alles vom ersten Urteilspruch an, von der ersten Verurteilung an annehmen müssen. Ich hätte sagen müssen: also gut, wir sind verurteilt, wir schließen das Seminar, wir lösen die Bruderschaft auf. Und warum haben wir das nicht angenommen? Weil diese Verurteilung gesetzwidrig war, nicht auf der geringsten Beweisführung beruhte noch auf irgendeinem richterlichen Urteil. Ich weiß nicht, ob Sie Gelegenheit hatten zu lesen, was sogar Kardinal Garrone in seinem Interview gesagt hat: „Unsere Zusammenkunft von uns drei Kardinälen mit Erzbischof Lefebvre war kein Gericht.” Er hat es offen ausgesprochen — das, was ich selbst auch immer wieder gesagt habe. Es war eine Unterredung. Ich bin also nie vor einem Gericht gestanden. Auch die Visitatoren waren kein Gericht, es war eine Untersuchung, kein Urteil. Es hat also keine Gerichtsverhandlung stattgefunden, es ist kein Urteilsspruch ergangen, es hat nichts stattgefunden und wir sind auf solche Weise verurteilt worden, ohne daß wir uns verteidigen konnten, ohne Monition, ohne irgend etwas, ohne Schriftlichkeit. Nein, das geht zu weit. Es gibt immerhin noch das Recht. Ich habe diese Verurteilung zurückgewiesen, weil sie ungesetzlich war und weil ich meinen Rekurs dagegen nicht einbringen konnte. Die Art, wie sich das alles abgespielt hat, war absolut unannehmbar. Man hat uns keine gültigen Gründe für unsere Verurteilung angeführt. Wenn man einmal dieses Urteil zurückgewiesen hat, besteht kein Grund, nicht auch die anderen Entscheidungen zurückzuweisen, weil sie sich ja auf das erste Urteil stützen. Warum hat man mir untersagt, die Priesterweihen vorzunehmen? Weil die Bruderschaft „aufgehoben” war und das Seminar hätte geschlossen werden müssen und ich also kein Recht gehabt hätte, die Priesterweihen vorzunehmen. Das lehne ich ab, weil es auf einem falschen Urteilspruch beruht. Warum hat man mich a divinis suspendiert? Weil ich die Priesterweihen vorgenommen habe, die man mir verboten hatte. Aber ich anerkenne ja diesen Urteilspruch hinsichtlich der Priesterweihen gerade deshalb nicht, weil ich den vorherigen Urteilspruch nicht anerkenne. Das ist eine Kette von Zusammenhängen, die ich nicht anerkenne, weil ich das erste Motiv nicht anerkenne, das alle diese Verurteilungen nach sich gezogen hat. Man kann sie nicht annehmen.
Der Heilige Vater hat übrigens mit mir nicht über die Suspension gesprochen, auch nicht über das Seminar, um was immer es sich gehandelt hätte. Nichts über dieses Thema, also absolut nichts.
Das ist die Situation, so wie sie heute ist. Ich glaube, für Sie ist das begreiflicherweise ein Drama, wie auch für mich, ich verstehe das sehr gut. Und ich glaube, wir alle wünschen uns aus ganzem Herzen, daß wieder normale Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl eintreten. Aber wer hat die normalen Beziehungen abgebrochen? Man hat sie auf dem Konzil abgebrochen. Auf dem Konzil hat man die normalen Beziehungen zur Kirche abgebrochen. Auf dem Konzil hat man sich von der Tradition getrennt. Die Kirche ist von der Tradition abgekommen und hat ihr gegenüber eine regelwidrige Haltung eingenommen. Gerade das aber können wir nicht hinnehmen. Wir können es nicht hinnehmen, uns von der Tradition zu trennen. Wie ich es dem Heiligen Vater gesagt habe: „In dem Maß, als Sie sich von Ihren Vorgängern entfernen, können wir Ihnen nicht mehr folgen. Das ist klar. Nicht wir haben uns von unseren Vorfahren getrennt.” Wie ich dem Heiligen Vater gesagt habe: „Aber überprüfen Sie doch die Texte der Erklärung über die Religionsfreiheit. Es sind zwei Texte, die ganz klar Wort für Wort einander widersprechen, und zwar wichtige dogmatische Texte: jene Gregors XVI. in „Mirari vos” sowie jene Pius' IX. in „Quanta cura” und Texte in der Erklärung über die Religionsfreiheit. Wort für Wort widersprechen sie sich. Welchen soll man wählen?” Darauf er: „Ach, lassen Sie das, beginnen wir nicht Diskussionen.”
Aber gerade darin besteht ja das Problem! Insoweit sich die Kirche von der alten Kirche trennt, können wir ihr nicht mehr folgen. Jetzt sind wir so weit und deshalb halten wir an der Tradition fest, wir bleiben fest in der Tradition. Ich bin sicher, daß wir so der Kirche einen unermeßlichen Dienst erweisen, meine lieben Freunde, wir leisten der Kirche einen unermeßlichen Dienst. Das Priesterseminar von Ecône ist sozusagen ein Hauptstützpunkt für den Kampf, den wir führen. Es ist der Kampf der Kirche. Auf diesen Boden muß man sich stellen.
Im übrigen muß ich leider sagen, daß diese Unterredung mit dem Heiligen Vater bei mir einen schmerzlichen Eindruck hinterlassen hat, weil ich das Gefühl hatte, daß er hauptsächlich seine eigene Person verteidigt hat: „Sie sind gegen mich!” „Ich bin nicht gegen Sie, ich bin gegen das, was uns von der Tradition trennt. Ich bin gegen das, was uns zum Protestantismus fortzieht, zum Modernismus.” Man hatte den Eindruck, daß er das ganze Problem auf seine Person bezogen hatte. Es war aber nicht die Person, es war nicht Erzbischof Montini, wir sehen in ihm den Nachfolger Petri. Und als Nachfolger Petri muß er uns den Glauben seiner Vorgänger überliefern. Insoweit er uns den Glauben seiner Vorgänger nicht überliefert, ist er nicht mehr der Nachfolger seiner Vorgänger. Damit aber wird er zu einer Person, die sich ihrer Amtspflicht entledigt, die ihre Amtspflicht verleugnet, die ihre Amtspflicht nicht erfüllt. Ich kann da nichts machen, es ist nicht meine Schuld. Als mir Fesquet von „Le Monde”, der vor zwei, drei Tagen in der zweiten Reihe gesessen ist, gesagt hat: „Aber Sie sind schließlich doch allein gegen alle Bischöfe, was können Sie denn machen, was soll dieser Kampf?”, habe ich ihm geantwortet: „Wieso? Ich bin doch nicht allein, ich habe die ganze Tradition auf meiner Seite. Und selbst jetzt und hier bin ich nicht allein. Ich weiß, daß viele Bischöfe innerlich denken wie wir, wir haben viele Priester auf unserer Seite und dann auch das Seminar, die Seminaristen und alle jene, die zu uns kommen.” Die Wahrheit entsteht nicht aus der Zahl, und die Zahl bringt nicht die Wahrheit hervor. Selbst wenn ich allein wäre, wenn mich alle Seminaristen verlassen würden, selbst wenn sich die gesamte öffentliche Meinung von mir abwenden würde, wäre mir das völlig gleichgültig. Ich bin mit meinem Katechismus verbunden, ich bin verbunden mit meinem Credo, mit der Tradition, die alle Heiligen geheiligt hat, die im Himmel sind. Ich schaue nicht auf die anderen, sie sollen es machen, wie sie wollen, aber ich will meine Seele retten. Die öffentliche Meinung kennen wir ja zur Genüge, die öffentliche Meinung war es, die Unseren Herrn verurteilt hat, nachdem sie Ihm einige Tage vorher zugejubelt hatte. Erst war Palmsonntag, dann Karfreitag. Das kennen wir. Auf die öffentliche Meinung darf man sich jedenfalls nicht verlassen. Heute ist sie für uns, morgen gegen uns. Was zählt, ist die Treue zu unserem Glauben. Davon müssen wir überzeugt sein und im übrigen ruhig bleiben.
Wie der Heilige Vater gesagt hat: „Haben Sie denn in Ihrem tiefsten Inneren nicht irgend ein Gefühl der Reue über Ihr Verhalten? Sie verursachen in der Kirche einen Skandal, einen enormen, enormen Skandal! Ihr Gewissen macht Ihnen gar keinen Vorwurf?” Ich habe ihm darauf geantwortet: „Nein, Heiliger Vater, nicht im mindesten.” Er sagte: „Sie wissen also nicht, was Sie da tun?” Und ich erwiderte: „Vielleicht!” Ich konnte nicht das Gegenteil sagen. Wenn ich mir aber etwas vorzuwerfen hätte, würde ich sofort aufhören.
Beten Sie inständig während Ihrer Exerzitien! Bitten Sie den lieben Gott, denn ich glaube, die Dinge nehmen ihren Lauf, schon seit langem, aber ich glaube, der kritische Punkt rückt immer näher. Immerhin hat der liebe Gott erlaubt, daß ich dem Heiligen Vater begegnen konnte, daß ich ihm sagen konnte, was wir denken, und daß ich jetzt die ganze Verantwortung für die Situation in seine Hände legen konnte. Ich glaube, das war trotz allem vom lieben Gott gewollt. An uns ist es zu beten, den Heiligen Geist anzuflehen, daß er den Heiligen Vater erleuchte und ihm den Mut einflöße, eine Tat zu setzen, die ihm begreiflicherweise sehr schwer fallen muß. Ich sehe keine andere Lösung. Der liebe Gott kann alles. Aber ich kann morgen sterben. Wir müssen auch dafür beten, daß die Gläubigen, die die Tradition bewahren, immer in einer Haltung der Stärke, der Festigkeit verharren. Nicht in einer Haltung der Verachtung, der Beleidigung anderer, der Beleidigung der Bischöfe. Wir sind im Vorteil, weil wir die Wahrheit haben, aber das ist nicht unser Verdienst, da es die Kirche ist, die die Überlegenheit der Wahrheit über den Irrtum besitzt, sie ist es, die diese Überlegenheit besitzt. Wenn man sich auch im Besitz der Wahrheit fühlt, so muß es doch die Wahrheit sein, die sich ihren Weg bahnt, denn die Wahrheit muß überzeugen, nicht unsere Person. Nicht dadurch, daß wir uns in Zorn versetzen, dadurch, daß wir die Leute beleidigen, gewinnt die Wahrheit an Bedeutung, im Gegenteil, dann wird man bezweifeln, daß wir die Wahrheit besitzen. Die Tatsache, daß wir zornig werden, daß wir beleidigen, zeigt nur, daß wir kein vollkommenes Vertrauen auf die Bedeutung der Wahrheit haben, die ja Gott selbst ist. Wir vertrauen auf Gott, auf die Wahrheit, die Gott ist, die Unser Herr Jesus Christus ist, auf den wir vertrauen. Wo könnten wir mehr Sicherheit finden? Nirgends. Schritt für Schritt bahnt sich die Wahrheit ihren Weg und wird ihren Weg machen, es kann nicht anders sein. Nehmen wir uns also vor, in unserer Rede, in unserer Haltung niemals einen Geist der Verachtung, einen Geist der Beleidigung anderer aufkommen zu lassen, sondern nur die Haltung der Festigkeit gegen den Irrtum, der absoluten Festigkeit, ohne Kompromiß, ohne Zurückweichen, denn wir sind mit Unserem Herrn, es geht um die Sache Unseres Herrn Jesus Christus. Die Ehre Unseres Herrn Jesus Christus, der Ruhm der allerheiligsten Dreifaltigkeit steht auf dem Spiel. Ihr Ruhm auf Erden natürlich, nicht Ihre unendliche Herrlichkeit im Himmel, sondern die Verherrlichung Unseres Herrn hier auf Erden. Es geht um die Wahrheit, also werden wir sie um jeden Preis verteidigen, was immer kommen mag.»
Hier endet der Bericht von Erzbischof Marcel Lefebvre an seine Seminaristen.