Erzbischof Lefebvre: Rücktritt als Generaloberer (1)

Quelle: Distrikt Deutschland

Vor fünfzig Jahren, inmitten des „Dängens nach Umsturz, welcher durch das Konzil ausgelöst worden war“, hatte ein Mann die schwere Aufgabe, ein Kapitel zusammenzurufen, das seine Ordensgemeinschaft reformieren sollte, um es der Gegenwart anzupassen. Erzbischof Marcel Lefebvre war damals Generaloberer der Väter vom Heiligen Geist und inmitten des zerstörerischen Chaos, der wirren Aktivitäten, des Protests und des Aufruhrs, zog er es vor, sich zurückzuziehen.

Die Geschichte über den erzwungenen Rücktritt des Oberen einer der wichtigsten Ordensgemeinschaften der Kirche ist eine aufschlussreiche Seite der aktuellen Krise.

Zwölf Jahre zuvor mit großer Mehrheit gewählt

Im Jahr 1968 ist Erzbischof Lefebvre bereits sechs Jahre Oberer seiner Kongregation. Am 26. Juli 1962 wird er schon in der zweiten Abstimmungsrunde mit großer Mehrheit von seinen Mitbrüdern gewählt. Papst Johannes XXIII. genehmigt die Wahl zwei Tage später. Der ehemalige Bischof von Dakar, seit sechs Monaten Erzbischof von Tulle, verlässt seine Diözese in Corréze und zieht nach Paris in die rue Lhomond, wo sich zu dieser Zeit der Sitz des Generalhauses der Spiritaner befindet. Er ist päpstlicher Thronassistent und Mitglied der Vorbereitungskommission des Zweiten Vatikanischen Konzils. Somit fällt seine Wahl als Oberhaupt seiner Kongregation zusammen mit der Eröffnung dieser Kommission. Während allen fünf Sitzungsperioden des Konzils wird er die Mitglieder seiner geistlichen Familie über die Entwicklung der Debatten, über die angenommenen Texte und die getroffenen Entscheidungen auf dem Laufenden halten.

Ziel dieser Ausführungen ist nicht, alle Eingaben von Erzbischof Lefebvre im Zweiten Vatikanischen Konzil darzulegen. Davon handelt das Buch Ich klage das Konzil an (auf deutsch: Sarto Verlag). Hier geht es darum, zu verstehen, wie die Lage innerhalb von sechs Jahren ausweglos unhaltbar wurde. Durch seine Wahl im Jahr 1962 wurde Erzbischof Lefebvre in eine sehr heikle Situation hineinversetzt. Schon jetzt lassen sich die Schwierigkeiten erahnen, mit denen er bei der Leitung eines Institutes konfrontiert wird, das den Spannungen und dem Hinterfragen der Nachkriegszeit ausgeliefert war.

Ein Mandat, das provoziert

Spaltungen und eine schädliche Stimmung haben sich vor allem in Frankreich und besonders in Chevilly-Larue, dem Hauptscholastikat der Kongregation entwickelt. Dem Modernismus nahe stehende Autoren, Experimente mit Selbstverwaltung und Selbststudium entwickeln sich dort auf gefährliche Weise. Erzbischof Lefebvre will dem ein Ende setzen. Er verlangt die Säuberung der Bibliothek, wo man die verurteilten Werke von Pater Congar und Pater Chenu findet. Er versetzt Pater Fourmond. Dieser hatte geplant, die Fach Apologetik und die Abhandlung über die Jungfrau Maria aus seinem Theologieunterricht zu streichen. Im Frühling 1963 lässt er den Oberen der großen Scholastikate klare Richtlinien zukommen und ordnet an, „diejenigen, welche von den modernistischen Ideen eingenommen seien, von den Lehrstühlen zu entfernen“. Er ermahnt sie, die Exerzitienprediger, die Referenten und die Zeitschriften mit Vorsicht auszuwählen: „Wir müssen alles vermeiden, was tendenziell den Respekt vor Kirche und Papst untergräbt, alles, was die historische Wahrheit der Schriften, den Wert der Tradition, die fundamentalen Begriffe von Moral, Sünde und Eigenverantwortung herunterspielt; wir müssen das Eindringen des Weltgeistes in die geistlichen Gemeinschaften vermeiden“ (Bischof Bernard Tissier de Mallerais, Marcel Lefebvre, Eine Biographie).

Erzbischof Lefebvre erneuert das Lehrerkollegium der Ausbildungsorte, besonders die Studienpräfekte. In Philosophie entlarvt er „das große Übel unserer Zeit, nämlich den Idealismus und den Subjektivismus. Allein die thomistische Philosophie vermittelt uns die Erkenntnis der Realität“. In der Theologie besteht er „auf der Wichtigkeit des Lehramtes, auf die Tradition und ihre Verbindungen mit der Spendung der Sakramente und des Opfers“. Er schreibt die Lektüre der Hauptenzykliken und Lehrschreiben der Päpste von Pius IX. an bis in die heutige Zeit vor, besonders die des hl. Papst Pius X.

In der Liturgie rät er, sich an die römischen Vorgaben zu halten, „alles, was von persönlichen Initiativen sogenannter Liturgisten stammt“ zu vermeiden, die Kirchensprache zu bewahren, nie eine Scheinliturgie mit der eigentlichen Liturgie zu vermischen, die Messe nicht dem Volk zugewandt zu zelebrieren und nicht im Stehen zu kommunizieren.

Die Strömung der Reform wird zum Tornado 

Ende 1963 betont er wiederum den äußerst besorgniserregenden Zustand, welcher in manchen Spiritanerklöstern herrscht. Bischof Tissier de Mallerais hebt das unglaubliche Bild hervor, das der Prälat zeichnet: „Niedergang der Autorität, ungebremste Freiheit, das Recht, alles zu beurteilen und zu kritisieren, das Fehlen der Demut. Kein Respekt mehr vor den Mitbrüdern, vor der Autorität und vor sich selbst. Keine Bescheidenheit mehr in der Kleidung, in den Blicken, in der Lektüre und im Fernsehen. (…) Die Verachtung der Traditionen. Die Abwendung von der lateinischen Sprache, vom gregorianischen Choral. Die Abwendung von der scholastischen Philosophie und Theologie.“

Doch leider, obwohl Erzbischof Lefebvre die Situation klar sieht, fehlt es ihm schmerzlich an entschlossenen Männern, die in der Lage wären, die notwendigen Reformen durchzuführen. In Chevilly akzeptierte er die Abdankung des Rektors und die Ersetzung dreier Professoren. Der neue Rektor, der zum Semesterbeginn 1964 ernannt wurde, gibt später zu, sein Vertrauen missbraucht zu haben: „Ich habe ihn getäuscht, indem ich Methoden praktizierte, die er nicht wollte: die Studenten waren meine Brüder und nicht meine Untergebenen!“ Diese Haltung deckt den Mangel an Fähigkeit zur Ausübung „einer wahrhaft väterlichen, d.h. starken und formenden Autorität“ auf. Sie zeigt auch die Unfähigkeit „der Begeisterung für die neue Theologie und die revolutionären pädagogischen Methoden zu widerstehen“.

In diesen Konzilsjahren wird die Richtung, die Erzbischof Lefebvre vorgeben möchte, in der Kongregation immer offener in Frage gestellt. Dies insbesondere auf Drängen anderer Bischöfe, vor allem der französischen.

 

(Quelle: FSSPX - FSSPX.Actualités - 11/09/2018)