Erzbischof Lefebvre: Ein festliches Kleid und ein apostolischer Geist
Man findet in der gesamten Haltung von Erzbischof Marcel Lefebvre die gesunde Ausgewogenheit des Urteils.
Er legt klar den Finger in die Wunde, wenn er Übertreibungen erkennt. So beklagt er die atemberaubende Abwesenheit eines katholischen sensus, welcher sich in so vielen vom II. Vatikanum verursachten „Reformen“ manifestiert.
Er tadelt aber auch die Übertreibungen, die in die andere Richtung gehen, z. B. den Buchstaben einer Vorgabe gedankenlos und ohne Weisheit umzusetzen, was schlussendlich den Geist der Vorgabe töten kann, wenn die Vorgabe zum Selbstzweck wird.
Das Thema Kleidung in unseren Kapellen ist recht symptomatisch für die Haltung des Gründers der Priesterbruderschaft, die gemäßigt und auf den apostolischen Geist gegründet ist. Er prangert die stets wachsende Unsittlichkeit an; gleichzeitig vermeidet er von der Leidenschaft bestimmte und übertriebene Haltungen.
«Man muss Buße tun können, indem man alles ablehnt, was zu mondän ist, was dem Fleische schmeichelt, all diese anstößigen Modeerscheinungen. All diese Dinge müssen für gute, wahre Christen untersagt sein, sonst erlangen wir nicht die Gnaden Gottes, derer es derzeit für unser Heil bedarf. Wir werden von einem Unglück in das nächste laufen.» [Vortrag in Rennes, November 1972.]
Manchmal wies Erzbischof Lefebvre die Gläubigen darauf hin, am Sonntag auf eine gute Kleiderordnung zu achten, welche dem Lobe Gottes und der Wertschätzung der christlichen Würde dient. So erinnerte er die wohlhabende Bevölkerung des christlichen Europas an die Bemühungen der Einwohner der Kapverdischen Inseln, die er als Missionar in Afrika kennengelernt hatte. Die Kapverdier kleideten sich mit dem Besten, was sie besaßen, um sich würdevoll in der Kirche einzufinden.
«Wenn man sie in ihren Dörfern aufsuchte, ohne dass sie vorher wussten, dass der Pater kommen würde, so fand man sie in Lumpen auf dem Buckel, ja wahrhafte Lumpen, zerrissene Kleider, fast nackt … so arbeiteten sie auf den Feldern. Welche Arbeit konnten sie denn auch tun? Denn es regnete sehr wenig; alles war sehr trocken, sehr ärmlich. Aber sobald der Festtag anstand, der Sonntag, so konnte man meinen, dass diese Leute sehr wohlhabend seien, denn sie zogen das einzige schöne Kleid an, das sie hatten, und den einzigen schönen Anzug, den sie hatten – das zogen sie sonntags an. So war es ein großes Fest, natürlich!» [Vortrag in Ecône, 12. Dezember 1977]
Gleichzeitig scheint sich Msgr. Lefebvre jedoch auch vor einer Art Kategorisierung zu hüten, die den apostolischen Geist gefährden könnte, indem dem mangelnden Wissen oder dem manchmal unbedarften Auftreten von Menschen, die hilfesuchend zu unseren Kapellen kommen, nicht mehr Rechnung getragen würde. Die folgenden Worte, die unser verehrter Erzbischof an seine Seminaristen richtete, sind für einen klugen Seelenhirten selbstverständlich:
«Was werden die tun, die sich gegenseitig kritisieren, sowohl die einen wie die anderen? Sie werden in ihrem Apostolat nicht überleben können. Sie werden all ihre Gemeindemitglieder vertreiben, einen nach dem anderen, denn sie werden den Einen und dann den Nächsten tadeln oder gar verbannen, sie werden den Einen und dann den Nächsten kritisieren; weil ein Zentimeter an der Rocklänge der Frauen fehle, werfen sie sie alle hinaus! Dann hat eine ihren Schleier vergessen? Na, dann ist sie exkommuniziert! Das sind unglaubliche Dinge! Eine Palastrevolution anzetteln für einen vergessenen Schleier, für einen Zentimeter Rocklänge, das ist unglaublich!
Man muss doch immer noch mit den Menschen leben. Es heißt nicht, dass man ihnen keine Ratschläge erteilen sollte, dass man nicht versuchen sollte, sie zur Wahrheit zurückzuführen. Aber wenn man sie hinauswirft, wie soll man sie dann zurückführen?
Es kann also nicht sein, dass Sie sich hier ständig gegenseitig abweisen. Wenn Sie meinen, sich mehr in der Wahrheit zu befinden als Ihr Gegenüber, dann versuchen Sie, mit ihm zu reden. Ist er nicht einverstanden? Dann hat er sich vielleicht doch am nächsten Tag Gedanken gemacht. Und vielleicht sind es ja auch Sie, die nicht in der Wahrheit sind. Egal, ob man sich völlig einig ist oder nicht, man bemüht sich, den Anderen zu verstehen. Schluss damit!» [Vortrag in Ecône, 20. September 1977]