Einladung in die Niederlande - Ein Gespräch mit Pater Carlo de Beer

Pater Carlo de Beer im Gespräch mit Gläubigen vor der Prioratskirche in Gerwen. Diese Kirche geht zurück auf den hl. Willibrord im 8. Jhdt.
Die Priesterbruderschaft St. Pius X. hat eine kleine Präsenz in den Niederlanden. Dieses Apostolat gehört zum Benelux-Distrikt. Im Priorat Gerwen mit seiner schönen alten Dorfkirche leben drei Patres, die auch noch in Leiden und Utrecht die hl. Messe zelebrieren (eine Kapelle im Grenzgebiet zu Deutschland wird von deutschen Mitbrüdern aus Essen versorgt).
Das Mitteilungsblatt sprach mit dem Prior von Gerwen, Pater Carlo de Beer.
Mitteilungsblatt: Pater Carlo de Beer, Sie sind seit 2004 als Priester in den Niederlanden tätig. Was würden Sie sagen, unterscheidet das Land in religiöser Hinsicht von anderen?
Pater Carlo de Beer: „Gibt es noch Glauben in den Niederlanden?“ oder „Sind die Niederlande nicht komplett protestantisch?“ Auf die erste Frage muss ich mit Ja antworten, auf die zweite mit Nein.
Generell möchte ich sagen, dass etwas mehr als die Hälfte der niederländischen Bevölkerung agnostisch ist. Fünf Prozent sind Moslems und fünf Prozent können als Angehörige anderer Religionen bezeichnet werden. Der Rest verteilt sich auf Katholiken und Protestanten. Diese werden in den Niederlanden „Christen“ genannt, um sie von den Katholiken zu unterscheiden. Die Katholiken machen etwas mehr als die Hälfte davon aus.
In früheren Jahren, lange vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, waren die niederländischen Katholiken dafür bekannt, dass sie gute Kirchgänger waren, nüchtern und auf Rom ausgerichtet. Dies war freilich mit eine Folge der Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten in der Geschichte, die zu einer stärkeren Überzeugung führte. Es hatte auch etwas zu tun mit der Strenge des calvinistischen Einflusses nach der Reformation.
Auf jeden Fall trugen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts katholische Führungspersönlichkeiten dazu bei, den Katholizismus zu stärken. Ich denke hier spontan an Dr. Herman Schaepman (1844–1903), einen Priester, Dichter und Politiker, oder an Dr. Alfons Ariens (1860–1928), ebenfalls Priester. Ersterer ist bekannt für seine katholische Emanzipation gegenüber den Liberalen, Letzterer für seinen Einsatz für die Arbeiter im Rahmen der Soziallehre der Kirche.
Der Modernismus konnte Mitte des 20. Jahrhunderts in der katholischen Kirche in den Niederlanden an Einfluss gewinnen. Papst Pius X. hat davor gewarnt, dass dieser „Zusammenfluss aller Irrlehren“ in der Kirche zu Gleichgültigkeit und Gottlosigkeit führen werde. Normalerweise gibt sich ein Organismus, wie wir in der Natur sehen, nicht selbst auf. Dies konnte bei der Kirche nur durch äußere Einflüsse, ja, auch durch Unterwanderung, geschehen. Aber wir sind gewiss: „Die Pforten der Hölle werden die Kirche nicht überwältigen.“ (Mt 16, 18)
Die Niederlande waren nach dem Konzil ein Experimentierfeld. Die Gläubigen waren offen für Veränderungen, zumal diese vom Papst und von den Bischöfen ausgingen. Damals stellte ein niederländischer Missionar in einem „Offenen Brief“ an die Bischöfe die Frage: „Warum haben Sie zugelassen, dass Gläubige der Glaubenssicherheit beraubt werden?“ Man sieht in unseren Tagen eine Gegenreaktion unter den Menschen guten Willens gegen dieses nachkonziliare Vorgehen in der Kirche.
Mitteilungsblatt: Möchten Sie uns ein paar Stichworte zu Ihrem persönlichen Lebensweg geben?
Pater Carlo de Beer: Als ich – eines von sechs Kindern – 12 Jahre alt war, machten sich meine Eltern auf die Suche nach einem authentischen katholischen Glaubensleben, denn nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ging es in unserer heimatlichen Pfarrkirche in Rijswijk sehr modernistisch zu. Sie stützten sich auf einige traditionstreue Priester in den Niederlanden. Ich denke z.B. an den verdienstvollen Jesuiten Ed Krekelberg (1913–1978), durch den meine Familie in Kontakt mit Erzbischof Marcel Lefebvre trat.
Durch meinen Kontakt mit den Patres der Priesterbruderschaft in den Niederlanden im Jahr 1985 habe ich einen guten Katechismusunterricht bekommen. Dadurch konnte auch meine Berufung zum Dienst an Gott reifen beginnen.
1989 konnte ich mit den Vorbereitungen zum Eintritt in das Priesterseminar Herz Jesu in Zaitzkofen anfangen, trat dann ein Jahr später dort ein und wurde 1996 von Weihbischof Bernard Tissier de Mallerais zum Priester geweiht. Meine ersten Priesterjahre verbrachte ich als Seelsorger in Belgien.
Mitteilungsblatt: Wer sich auf eine Reise macht, die katholische Niederlande zu entdecken, welche Orte sollte er aufsuchen?
Pater Calo de Beer: Auf jeden Fall die Orte, wo die Priesterbruderschaft Kirchen oder Kapellen hat, das heißt Gerwen, Leiden, Utrecht und Blijerheide, an der Grenze zum deutschen Herzogenrath. Hier haben wir schöne Gotteshäuser.
Ich empfehle gerne den Besuch der Stadt Oudenbosch im Westen der niederländischen Provinz Nordbrabant. Hier findet man die Basilika St. Agatha, eine „kleinere Kopie“ des Petersdoms in Rom. Und man kann dort das „Museum der Päpstlichen Zuaven“ besuchen.
Die Päpstlichen Zuaven waren eine Freiwilligenarmee, die 1861 zur Verteidigung des Papstes gegen die italienischen Revolutionäre aufgestellt wurde. Von den 5000 Freiwilligen aus ganz Europa, die sich zur Verteidigung der Person und der Freiheit des Heiligen Vaters zusammenfanden, waren fast die Hälfte Niederländer.
Ich würde auch den Besuch der gotischen Johannes-Kathedrale von 's Hertogenbosch empfehlen, die nach einer langen protestantischen Nutzung 1812 wieder in den Besitz der Katholiken überging.
Besuchenwert ist auch die Maastrichter Basilika „Sterre der Zee“. Das Gotteshaus aus dem 11. Jahrhundert liegt im Herzen von Maastricht, nicht weit von der Maas entfernt.
Da haben Sie zwei wichtige historische Gotteshäuser aus unterschiedlichen Epochen.
Teuer sind uns die niederländischen Blutzeugen aus der Reformationszeit. Die 19 Priester und Ordensleute wurden 1572 in Gorkum von calvinistischen „Geusen“, also Aufständischen, gefangengenommen, gefoltert und unter Druck gesetzt, die Realpräsenz Jesu Christi in der Eucharistie und den Primat des Papstes zu leugnen. Am 9. Juli wurden sie gehängt.
Wir haben den schönen Marienwallfahrtsort Heiloo in der Provinz Nord-Holland in der Nähe von Alkmaar. Hier gibt es eine Gnadenkapelle und eine Marienkapelle.
Der „Begijnhof“ in Amsterdam zeigt ein Stück katholischer Geschichte in den Niederlanden. Er ist immer in katholischer Hand geblieben und erinnert an das Eucharistische Wunder von Amsterdam im Jahr 1345.
Spontan denke ich auch an die Schuilkerk – deutsch: versteckte Kirche oder auch Schlupfkirche. In Amsterdam kann man die Schuilkerk Ons’ Lieve Heer op Solder („Unser lieber Herrgott auf dem Dachboden“) besuchen. Die Katholiken durften im calvinistischen gewordenen Amsterdam keine sichtbaren Gotteshäuser haben. Da baute man größere Räume in Privaträumen aus.
Mitteilungsblatt: Seit rund zehn Jahren betreuen Sie als Seelsorger die wunderschöne neogotische Kirche St. Willibrord in Utrecht. Wie kam es dazu?
Pater Carlo de Beer: Die Vorsehung wollte diese authentisch bewahrte Kirche für die Tradition behalten. Die Sankt-Willibrord-Kirche ist ein großes Gotteshaus in Utrecht das 1877 geweiht wurde.
Sie ist dem heiligen Willibrord (657–739) geweiht, dem Apostel der Friesen und der Niederlande. Sein Fest wird am 7. November gefeiert.
Die Kirche wurde nach dem Konzil Eigentum der Sint Willibrordus Stichting, einer Stiftung, die von dem Assumptionisten-Pater Winand Kotte (1922–2006) gegründet wurde.
Junge Leute erzählten mir 2014 bei der Sakramentsprozession in Gerwen, dass die St.-Willibrordus-Stiftung in Utrecht in Schwierigkeiten stecke. Ich schlug ihnen dann vor, dass jemand von der Stiftung mit mir Kontakt aufnehmen sollte. Dann bekam ich im August einen Anruf von der Vorsitzenden der Stiftung. Und damit fing es an. Ein Finanzexperte konnte den Stadtrat von Utrecht davon überzeugen, dass der Vorschlag zum Erwerb durch die St.-Jozef-Stiftung, die Vertreterin der Priesterbruderschaft in den Niederlanden, die beste Option ist. So konnte ich am 30. Dezember 2015 eine erste Heilige Messe für die Seelenruhe von Pater Winand Kotte feiern, der eine wichtige Rolle bei der Rettung dieser Kirche gespielt hatte.
Die denkmalgeschützte Kirche wurde zwischen 1995 und 2005 vollständig restauriert. Jetzt stehen noch kleine Instandhaltungsarbeiten an.
Für den Unterhalt – denken Sie nur an die Heizkosten – sind wir auf die Spenden der Gläubigen angewiesen. Sonntags ist hier das Hochamt um 10.30 Uhr.
Mitteilungsblatt: Würden Sie sagen, das historische Ambiente der Kirche leistet einen besonderen Beitrag zum Apostolat der Bruderschaft in den Niederlanden?
Pater Carlo de Beer: Dies spielt sicherlich eine Rolle. Die Kirche hat eine sehr „niedrige Schwelle“ und zieht viele Besucher an. Aber eine noch wichtigere Ursache für den Anstieg der Messbesucher ist das Umdenken, vor allem bei jungen Menschen, die nach befriedigenden Antworten auf ihre Lebensfragen suchen und die Fülle des Glaubens, den Jesus gelehrt hat, wollen.
Besonders schön zeigt diese Entwicklung, dass auch der „fortschrittlichste Modernismus“ bereits überholt ist. Offensichtlich ist, dass Jesus’ Wort Wahrheit ist, dass er sein Wort hält. „Siehe, ich bleibe bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ (Mt 28, 20) Auch heutzutage hat man die Chance, seine Kirche zu finden und in sie einzutreten. Treue und Geduld sind gefragt, wie zu allen Zeiten.
Deo Gratias!
Danke für das Gespräch.