Ein Kämpfer für das soziale Königtum Christi

Quelle: Distrikt Deutschland

Prälat Mäder auf einer Wanderung um 1930

Vor 75 Jahren starb Prälat Dr. Robert Mäder (1875–1945)

Erinnerungen von Josef C. Haefely

Prälat Dr. h.c. Robert Mäder, von 1912 bis zu seinem Tod 1945 Pfarrer von Heiliggeist und Basler Stadtdekan, galt als „Donnerer des Heiligen Geistes“, sei es in Predigten, Artikeln oder Büchern im Dienst der katholischen Aktion. Auch wenn ich erst neun Jahre nach seinem Tod zur Welt kam, war seine Ausstrahlung noch immer zu fühlen, durch sein Grab auf dem Priesterfriedhof im Schatten unserer Mümliswiler Sankt Martinskirche, und durch seinen Nachlass, der in Vaters Bürokasten wie ein Schatz gehütet wurde. Dass Mümliswil noch bis in die Gegenwart hinein politisch als „schwärzeste Gemeinde“ des Kantons Solothurn galt, hatte seine Ursache wesentlich darin, dass Robert Mäder hier 1901 seine erste Pfarrstelle angetreten und dass unser Großvater Josef Haefely-Glutz als Mäders bester Freund dann über Jahrzehnte unser Geschick als Gemeindevorsteher bestimmt hatte.

Mäders Sprachgewalt wurde auch von seinen Gegnern anerkannt. Ein liberaler Lehrer aus Balsthal äußerte einmal: „Das schönste Deutsch habe ich von Pfarrer Mäder gehört.“ Dabei sei der junge Robert, Sohn eines Wolfwiler Gastwirts, von Natur aus eher scheu gewesen. Sein Vater neigte der politischen Linken zu, und im Rückblick bekannte Pfarrer Mäder, er hätte durchaus das Potenzial zu einem sozialistischen Agitator gehabt. Seiner Überzeugung nach konnten soziale Ungerechtigkeiten aber nicht durch Revolutionen, sondern allein durch das soziale Königtum Jesu Christi überwunden werden. Seine Predigten, die aus den päpstlichen Lehrschreiben schöpften, polarisierten oft. Aber der Pfarrer ging selbst mit gutem Beispiel voran, und sein Leben war von franziskanischer Einfachheit geprägt: „Seitdem ich anfing, am Schluss des Monats, was ich im Haushalt erübrigte, in die Armenkasse zu legen, fühle ich mich frei und froh wie ein König." Sogar der freisinnige Kantonsratspräsident Erwin Walter, in Mümliswil einer seiner schärfsten politischen Gegner, gestand Robert Mäder „überragende Fähigkeiten“ und eine „absolut einwandfreie“ Lebensführung zu. Nach einem Wahltag wurden 1908 im Mümliswiler Pfarrhaus gar die Fensterscheiben eingeschlagen. Am folgenden Sonntag erklärte Mäder auf der Kanzel: „Sie können alles töten, aber den Geist nicht!“ Die Täter wurden bestraft, doch in der Nacht stellten fünf Burschen die Totenbahre vor den Pfarrhofeingang. Alle starben in rascher Folge, einer noch in derselben Nacht.

Robert Mäder war schon als junger Pfarrer bewusst, dass die Erneuerung einer Pfarrei gemeinschaftsbildende Netzwerke verlangt. In Mümliswil förderte er das katholische Vereinswesen. In Basel gründete er eine katholische Mädchenschule, das von den „Helferinnen vom Heiligen Geist“ betreute Pfarreizentrum „Providentia“ und den Nazareth-Verlag zur Verbreitung guter katholischer Schriften. Gleichzeitig wollte er alles vom Gebet getragen wissen. Dafür wandte er sich vor allem an die Kinder, mit auffallenden Erhörungen. Seine Jungmänner instruierte er über aktuelle Zeitströmungen. Dabei ließ er sie gerne aus dem Stegreif zu einem gegnerischen Vorwurf oder zu einer Frage ohne Vorbereitung Stellung nehmen, was das gesunde Selbstvertrauen der jungen Männer stärkte und sie für öffentliches Auftreten schulte. So scheuten sie sich nicht, beim Versuch, eine sozialdemokratische Ortspartei zu gründen, in einer Versammlung aufzutreten, mit dem Resultat, dass dieses Vorhaben abgesagt wurde. Einer von Pfarrer Mäders Jungmännern der ersten Stunde war unser Großvater Josef Haefely-Glutz (1882–1950). Als Gemeindeammann blieb er ihm zeit seines Lebens freundschaftlich verbunden. Hin und wieder unternahmen sie gemeinsame Ausflüge, etwa ins Tessin oder zu den Kapuzinern im Rigi-Klösterli in der Zentralschweiz. Beim Aufstieg fragte einmal eine leicht bekleidete Dame, ob das schwarze Gewand des Pfarrers nicht sehr schweißtreibend sei. Prälat Mäder meinte lakonisch, er trage gerne zu viel, was die Dame zu wenig trage. Das geistliche Kleid war für ihn Zeugnis und Auftrag. Bei einer Begegnung im Kloster Dornach traf er einen Kapuzinerpater beim Auspacken von Koffern, wofür der Pater seine Kutte ausgezogen hatte. Mäders Kommentar: „So, so, jetzt muss man nichts mehr sagen über den Bischof von Basel, wenn sogar die Kapuziner im Zivil gehen.“ 

Ein Zeugnis für Pfarrer Mäders lebenslange Verbindung zu Mümliswil kommt in seinem „Testament des Pfarrers an seine inniggeliebten Pfarrkinder“ treffend zum Ausdruck, welches er zu seinem Abschied im Jahre 1912 verfasst hatte. Das gedruckte Dokument wurde in der Gemeinde verteilt und noch über Generationen in manchen Stuben in Ehren gehalten. Darin schreibt Mäder: „Ich galt als Vertreter der allerstrengsten Richtung. Aber ich glaube, dass jedes meiner Pfarrkinder auch unter dem Gewande des Ernstes den Pulsschlag der Liebe gefühlt hat. Und die größte Liebe ist die Wahrheit. Ich scheide mit dem Bewusstsein, nie ein einziges meiner Pfarrkinder gehasst zu haben, auch wenn es mir nicht vergönnt war, jedem meine Liebe auf gleiche Weise zu zeigen. Habe ich trotzdem jemand durch meine Schuld beleidigt, so bitte ich im Sinne der fünften Vaterunserbitte um Vergebung. Denn auch Priester sind Menschen. Und alle Menschen fehlen.“

Es gab Menschen im Dorf, die sich heftig provoziert fühlten, z.B. einen Lehrer und Kirchenchorleiter, der ihm von der Empore her bei einer Predigt ins Wort fiel und kritisierte, der Pfarrer solle auf der Kanzel nicht politisieren. Daraufhin eskalierte die Situation und der Betreffende musste mit seiner Familie die Gemeinde verlassen. Prälat Mäder ließ sich auch durch solche Provokationen nicht beirren. Er war der Erste in der Schweiz, der in seiner Pfarrei das Christkönigsfest mit Triduum und nächtlicher Anbetung feierte. Gemeinsam mit dem Oltner Verleger Otto Walter-Glutz formte er die „Schildwache“ zu einem Organ der katholischen Erneuerung im Geist des sozialen Königtums Christi. In Hitlerdeutschland wurde das Blatt 1937 verboten, was unser Großvater in einem Brief an seinem Priesterfreund beklagte, weil damit viele Abonnenten ausfielen. Pfarrer Mäder war sich wohl bewusst, ein einsamer Rufer in der Wüste zu sein. Das verlieh ihm einen großen Lebensernst, wenn auch bei einem gelegentlichen Spaß hin und wieder sein kindlicher Schalk durchschimmerte. Deutlich sah er schon damals den Niedergang des Glaubens und der Kirche unserer Zeit voraus. Gegenüber seinem Freund Josef klagte er einmal: „Die Masse ist verloren, der Einzelne kann sich noch retten!“

In seiner geliebten Mümliswiler Pfarrei wollte Robert Mäder nach seinem Heimgang 1945 zur letzten Ruhe gebettet werden. Zu seinem Nachlassverwalter hatte er unseren Großvater bestimmt. Auf diesem Weg fand der Nachlass in unser Vaterhaus, darunter einige persönliche Objekte wie sein Betstuhl, wo er so oft auf den Knien mit seinem Herrn gerungen hatte, und eine Kreuzpartikel, mit der er oft den Segen erteilt hatte. Auch ein Teil seiner Korrespondenz, Predigten, Bücher und Artikel, die er hauptsächlich in der Zeitschrift „Schildwache“ veröffentlicht hatte, blieben so erhalten.

Vor über einem Jahrzehnt bot sich mir die Gelegenheit einer Begegnung mit Maria Emanuel, dem Erbprinzen von Sachsen (1926–2012). Er lebte im Westschweizer Exil und war ein Freund der katholischen Tradition. Anlass unserer Begegnung war die Übergabe von Kopien eines Briefwechsels, den Prälat Mäder einst mit seinem Vater Prinz Friedrich Christian geführt hatte. Darin hatte er Pfarrer Mäder geschildert, wie der kleine Maria Emanuel die Hl. Messe schon sehr andächtig mitverfolge. Der betagte Herr des Hauses Wettin war tief bewegt, nach so vielen Jahrzehnten diese Dokumente in Händen zu halten. Aus dem reichen Schatz des Nachlasses schöpfen konnte auch der österreichische Priester Prof. Albert Drexel für seine Mäder-Biographie „Ein Kämpfer für Christus“, die er im Jahre 1955 veröffentlichte.

Nicht nur für unseren Großvater, sondern auch für seine Kinder blieb Pfarrer Mäders Ausstrahlung prägend. Unsere Tante Margrit-Marie litt als junges Mädchen immer wieder unter „Blutstürzen“. Als Pfarrer Mäder einmal zu Besuch in Mümliswil weilte und sich ein solcher Anfall ereignete, ließ der besorgte Vater seinen Priesterfreund rufen, der die Tochter segnete. Von da an blieben solche Anfälle aus. Unsere Tante ließ sich dann zur Lehrerin ausbilden, wurde Mitglied der „Helferinnen vom Hl. Geist“ und unterrichtete viele Jahre in der Basler Theresienschule, wo sie für ihre musikalischen und gestalterischen Projekte von Seiten der Stadt hohes Lob erhielt. Auch das Schicksal ihres jüngeren Bruders Johannes Haefely war eng mit Pfarrer Mäder verbunden. Als Kleinkind war er infolge einer schweren Erkrankung dem Tode nah. In höchster Not telefonierte der besorgte Vater nach seinem Priesterfreund und bat ihn um sein Gebet. „Bring den Kleinen dann nach Basel, wenn er wieder gesund ist!“, war die Antwort des Pfarrers. Der Hörer war kaum aufgelegt, da verlangte der kleine Johannes schon wieder nach der Flasche, und bald konnte er mit seinem Vater die Reise nach Basel antreten. Aus Dankbarkeit gegenüber ihrem geistlichen Wohltäter gründeten die beiden Geschwister Johannes und Sr. Margrit-Marie Haefely in den 1960er Jahren das „Robert-Mäder-Sekretariat“ in Berikon. Sie legten Robert Mäders Bücher neu auf und publizierten Kleinschriften zu verschiedenen Aspekten des Glaubens, die vor allem seinen „Schildwache“-Artikeln entnommen wurden. Die Broschüren wurden in den letzten Jahren neu aufgelegt und sind von bleibender Aktualität.

Mäder war ein prophetischer Mensch und sprach manchmal auch öffentlich von der Zukunft. Auf einer Versammlung des Volksvereins in Laupersdorf hielt er 1910 oder 1911 ein vielbeachtetes Referat, in dem er von einem kommenden Weltkrieg, vom Sturz des russischen Zarentums, von fallenden Thronen und bevorstehenden Revolutionen sprach. Der Präsident des Vereins, Pfarr-Resignat Bobst, meinte in seinem Schlusswort: „Wir haben da unglaubliche Dinge gehört, aber wenn es Pfarrer Mäder sagt, dann muss es wahr sein.“