Der Glaube ist übernatürlich

Quelle: Distrikt Deutschland

Von Pater Matthias Gaudron

Der christliche Glaube beruht auf der Offenbarung Gottes. „Vielmals und auf vielerlei Weise hat Gott vor Zeiten durch die Propheten zu den Vätern gesprochen; am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn“ (Hebr 1,1 f.). Gott hat also zuerst im Alten Testament zu uns Menschen gesprochen, und zwar durch alle, die Offenbarungen empfingen und sie weitergaben. Solche waren Abraham, Moses, David, Isaias, Jeremias … bis hin zu Malachias, dem letzten der alttestamentlichen Propheten. Diese Offenbarung wurde vollendet durch den Sohn Gottes selbst. In Jesus Christus hat nicht nur ein großer Prophet zu uns gesprochen, sondern Gott selbst. Dadurch hat die Offenbarung ihren Abschluss gefunden.

Die Offenbarung Gottes finden wir daher in der Heiligen Schrift, aber auch in der zunächst nur mündlich weitergegebenen Tradition, die in den von den Aposteln gegründeten Kirchen bewahrt wurde. Die Inhalte des Glaubens kommen uns also von außen zu, und darum schreibt der hl. Paulus: „Der Glaube kommt vom Hören“ (Röm 10,17).

Dagegen stellt der Modernismus eine bloß innere Offenbarung auf. Unter dieser versteht er ein im Inneren des Menschen aufsteigendes Gefühl, eine Sehnsucht nach dem Ewigen und Göttlichen. Die Inhalte eines solchen Glaubens bleiben dann zwangsläufig sehr diffus. Zweifellos gibt es im Menschen eine Sehnsucht nach Gott, denn er ist auf ihn hin geschaffen, aber wenn Gott auf diesen Ruf des Menschen nicht geantwortet hätte, gäbe es keine Offenbarung. Darum ließ der hl. Papst Pius X. alle höheren Kleriker beeiden:

Ich halte ganz sicher fest und bekenne aufrichtig, dass der Glaube kein blindes Gefühl der Religion ist, das unter dem Drang des Herzens und der Neigung eines sittlich geformten Willens aus den Winkeln des Unterbewusstseins hervorbricht, sondern die wahre Zustimmung des Verstandes zu der von außen aufgrund des Hörens empfangenen Wahrheit, durch die wir nämlich wegen der Autorität des höchst wahrhaftigen Gottes glauben, dass wahr ist, was vom persönlichen Gott, unserem Schöpfer und Herrn, gesagt, bezeugt und geoffenbart wurde. (Antimodernisteneid; DH 3542)

Der Glaube ist also die Antwort des Menschen auf diese Offenbarung Gottes. Wer den Glauben nur kennengelernt hat, z. B. durch das Anhören einer Predigtreihe oder das Lesen eines Katechismus, ist noch kein Gläubiger, sondern dazu muss er dem christlichen Glaubensbekenntnis auch innerlich zustimmen, d. h. es als wahr annehmen. Der Glaube ist darum die grundlegende Tugend des Christentums, denn er eröffnet uns die gesamte übernatürliche Welt. Er lehrt uns die Dreifaltigkeit Gottes, die Menschwerdung und die Erlösung, er zeigt uns unser ewiges Ziel und den Weg dorthin.

Da die Offenbarung von Dingen spricht, die wir nicht nachprüfen können, handelt es sich um Glauben und nicht um ein Wissen. Jedoch wird von uns nicht verlangt, etwas blind oder sogar widervernünftig zu glauben. Es gibt die sog. Glaubwürdigkeitsmotive, d. h. Argumente, die uns zeigen, dass glaubwürdig ist, was die Kirche uns als zu glauben vorlegt. Dazu gehört die Auferstehung Christi, die uns von den Aposteln ausdrücklich bezeugt wurde. Der hl. Petrus nennt die Apostel „Zeugen der Auferstehung“ (Apg 1,22), und für dieses Zeugnis sind die Apostel sogar in den Tod gegangen. Auch die Wunder, die im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder geschehen sind, spielen hier eine wichtige Rolle, wie das Turiner Grabtuch, das wunderbare Bild der Muttergottes in Guadalupe, die Heilungen in Lourdes usw.

Allerdings kann auf diese Weise nur eine menschliche Sicherheit erreicht werden. Wir bleiben hier noch im natürlichen Bereich. Die apologetischen Argumente können zeigen, dass es vernünftig ist, zu glauben, ja sogar, dass es unvernünftig ist, nicht zu glauben. Die felsenfeste Zustimmung, die der christliche Glaubensakt fordert, ist aber nicht ohne die Hilfe Gottes möglich. Darum sagt Christus: „Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater ihn zieht“ (Joh 6,44); und der hl. Paulus nennt den Glauben eine Gabe Gottes: „Aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet – nicht euer Verdienst ist es, sondern Gottes Geschenk“ (Eph 2,8).

Der hl. Thomas v. Aquin lehrt, dass der Mensch für die innere Zustimmung zur äußerlich vorgelegten Offenbarung eine innere Bewegung durch die Gnade Gottes benötigt, da Wunder, Predigten und apologetische Vorträge nicht genügen. Dasselbe Wunder bzw. dieselbe Predigt bewirken bei einem den Glauben, bei einem andern nicht. Dieser Unterschied kommt nicht nur vom menschlichen Willen, wie die Pelagianer meinten, sondern weil der Mensch durch den Glauben über seine Natur erhoben wird, braucht er für den Glaubensakt ein übernatürliches Prinzip.[1]

So lehrt dann auch das Erste Vatikanische Konzil:

Wenn aber auch die Zustimmung zum Glauben keineswegs eine blinde Regung des Herzens ist, so kann dennoch niemand der Verkündigung des Evangeliums zustimmen, wie es nötig ist, … ohne Erleuchtung und Einhauchung des Heiligen Geistes, der allen die Freude (suavitas) verleiht, der Wahrheit zuzustimmen und zu glauben (DH 3010).

Die Theologen sagen, dass es ein geheimnisvolles Glaubenslicht (lumen fidei) gibt, in dem der Gläubige erkennt, dass die Lehren des Christentums wahr und zu glauben sind.[2] Daher kann ein Gläubiger zwar durch Scheingründe der Ungläubigen verwirrt werden und es können Zweifel in ihm aufsteigen, aber er wird doch immer erkennen, dass er dem Glauben treu bleiben muss.

Darum ist es nicht richtig, wenn Joseph Ratzinger in seiner „Einführung in das Christentum“ schreibt, „der Glaubende und der Ungläubige“ hätten beide „am Zweifel und am Glauben Anteil“. Keiner könne „dem Zweifel ganz, keiner dem Glauben ganz entrinnen“.[3] Dies widerspricht der Definition des Ersten Vatikanums, in der es heißt:

Wer sagt, die Lage der Gläubigen und derer, die noch nicht zum einzig wahren Glauben gelangt sind, sei gleich, so dass Katholiken einen triftigen Grund haben können, den Glauben, den sie unter dem Lehramt der Kirche schon angenommen haben, … in Zweifel zu ziehen …, der sei mit dem Anathema belegt. (DH 3036)

Ein beeindruckendes Beispiel

Wer als Kleinkind getauft und im Glauben erzogen wurde, wächst ganz harmonisch in diesen hinein und wird sich darum meist nicht bewusst, dass der Glaube ein übernatürliches Geschenk ist. Solche, die erst im Erwachsenenalter zum Glauben gefunden haben, können aber manchmal genau angeben, in welcher Stunde ihnen die Gnade des Glaubens geschenkt wurde.

Ein beeindruckendes Beispiel dafür ist die Bekehrung Douglas Hydes, eines jungen Engländers, der in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg seinen protestantischen (methodistischen) Glauben verlor und sich mit viel Idealismus für den Kommunismus einsetzte. Er wurde führendes Mitglied der Kommunistischen Partei und Redakteur des Daily Worker. Da er sich als Redakteur einer kommunistischen Zeitung auch mit den Lehren der katholischen Kirche auseinandersetzen musste, ging ihm nach und nach die Richtigkeit der katholischen Lehre sowie die Falschheit und Lüge des Kommunismus auf. Die Gottesbeweise des hl. Thomas v. Aquin erschienen ihm unwiderleglich. Er las katholische Bücher und stimmte ihnen verstandesmäßig zu. Trotzdem blieb das alles für ihn rein theoretisch, und er war sich bewusst, dass er keine lebendige Beziehung zu Gott hatte, wie sie einen gläubigen Christen auszeichnet. Er sagte sogar zu seiner Frau, „halb im Scherz, aber doch recht nachdenklich“, sie sollten sich vielleicht „Katholiken nennen, die nicht an Gott glaubten“.[4]

In diesem Zustand blieb er noch mehrere Monate. Obwohl er glauben wollte, konnte er den Glaubensakt nicht setzen. Er ging auf seinem Weg zur Arbeit – immer noch bei der kommunistischen Zeitung – sogar täglich in eine katholische Kirche und setze sich eine Weile in die letzte Bank, beten aber konnte er nicht. Eines Tages aber geschah hier etwas:

„Ich saß im Dämmerlicht von St. Etheldreda wie gewöhnlich in der letzten Bank, als ein Mädchen hereinkam; sie mochte knapp zwanzig sein … ich hielt sie für ein kleines irisches Dienstmädchen. Als sie an mir vorbeiging, sah ich ihren Gesichtsausdruck. Auch sie hatte Kummer. Genau wie ich hatte sie irgendetwas Schweres auf dem Herzen. Zielbewusst ging sie durch den Mittelgang nach vorn, schwenkte dann nach links zu einem Betschemel um, auf dem sie vor der Mutter Gottes niederkniete, nachdem sie eine Kerze angezündet und ein paar Münzen in einen Opferstock geworfen hatte. In dem Dämmerlicht … konnte ich sehen, wie sie geschäftig einen Rosenkranz durch die Finger gleiten ließ und ab und zu den Kopf neigte. … Als sie auf dem Weg nach draußen wieder an mir vorbeikam, blickte ich in ihr Gesicht. Was immer sie bedrückt haben mochte, war verschwunden. Wie nichts. Und ich hatte meine Bürde mit mir herumgeschleppt, Monate und Jahre.

Als ich mich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, schlich ich, fast einem geprügelten Hund gleich, den Mittelgang hinunter, wie sie …, zündete eine Kerze an, kniete auf dem Schemel nieder – und versuchte, zur Mutter Gottes zu beten. … Wenn du dich dem Aberglauben ergibst und zu jemandem betest, der nicht da ist, kannst du auch ruhig … zu einer Statue beten, basta. Wie betete man zur Mutter Gottes? Ich wusste es nicht. … Mein Kopf war leer. … Schließlich hörte ich mich etwas murmeln, was anfangs ganz passend schien, dann aber erstarb, weil es jämmerlich ungeeignet wurde. Aber das war gleichgültig. Ich wusste, mein Suchen hatte ein Ende. Ich hatte nicht zu Nichts gesprochen.“[5]

Diese Begebenheit zeigt, dass verstandesmäßige Argumente allein nicht zum Glauben führen können und dass es auch nicht am menschlichen Willen allein liegt, ob man glauben kann oder nicht. Der Glaube ist eine Gnade, um die manche lange ringen müssen. Diese Geschichte ist aber auch ein schönes Beispiel dafür, wie es die Muttergottes ist, die die Menschen durch ihre Vermittlung zum Glauben und zur katholischen Kirche führt.

 

Anmerkungen

[1] S Th II-II, q.6, a.1.

[2] Vgl. Thomas v. Aquin: „Per lumen fidei videntur esse credenda – Man sieht durch das Licht des Glaubens, dass sie (die Glaubensartikel) zu glauben sind“ (S Th II-II, q.1, a.5, ad 1).

[3] S. 19.

[4] Douglas Hyde: Anders als ich glaubte, 4. Aufl., Herder: Freiburg 1958, S. 169.

[5] Ebd., S. 187 f.