Der christliche Altar
Von Pater Matthias Gaudron
Die Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde und wird oft mit der Behauptung gestützt, die ersten Christen hätten keine Altäre und Sakralräume gekannt. Man habe bei den Gemeindeversammlungen die Eucharistie an gewöhnlichen Tischen gefeiert, die anschließend wieder für gewöhnliche Mahlzeiten verwendet wurden. Auch die Versammlungsräume sollen anfangs gewöhnliche Speiseräume gewesen sein. Darum sei es wünschenswert, dem Altar wieder den Charakter eines Tisches zurückzugeben und in der Liturgie den Mahlcharakter zu betonen.
Solche Behauptungen gab es im katholischen Raum vereinzelt schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts, also in der Zeit des Modernismus. Der katholische Priester Franz Wieland gab von 1906 bis 1912 vier Studien heraus, in denen er behauptete, in den ersten drei christlichen Jahrhunderten hätte es weder Altar noch Opfer gegeben. Wieland war dabei vom liberalen Protestantismus eines Albrecht Ritschl und Adolf Harnack beeinflusst.
Stefan Heid, Priester und Professor für Liturgiegeschichte, hat nun in seinem Buch Altar und Kirche prinzipien christlicher Liturgie[1] gezeigt, dass es sowohl für Juden als auch für Heiden ganz undenkbar gewesen wäre, eine religiöse Zeremonie an gewöhnlichen Esstischen vorzunehmen. Darum hätten dies auch weder Juden- noch Heidenchristen akzeptiert. Sicherlich hatten die ersten Christen keine Altäre, wie man sie für die Schlachtung von Tieren benutzte. Es gab aber ein antikes Möbel, das vortrefflich für eine Eucharistiefeier geeignet war: den Sakraltisch. Das waren Tische, die bei den Heiden für unblutige Opfer, die Ablegung von Opfergaben oder Kultgeräten oder auch für die Opferspeisen verwendet wurden. Sie konnten wahlweise „Tisch“ oder „Altar“ genannt werden. Auch im Jerusalemer Tempel gab es einen solchen Sakraltisch, nämlich den „Tisch der Schaubrote“. Bei einem heidnischen Opfermahl wurden die Opferspeisen auf einen solchen Sakraltisch oder Altar gelegt. Darauf konnte auch das Bild der Gottheit stehen, die als Gastgeber gedacht wurde. Sogar bei einem gewöhnlichen Bankett wurde zum Schluss den Hausgöttern (Laren) oder dem Genius des Hausherrn ein Opfer dargebracht. Man schaffte dazu die gewöhnlichen Esstische hinaus, wusch die Hände und vollzog das Opfer an einem Altar oder Sakraltisch. Natürlich stand man zum Gebet auch auf.
Der hl. Paulus schrieb nun in 1 Kor 10,18-21:
Seht auf das irdische Israel! Haben nicht die, welche vom Opfer essen, teil am Altar? Was will ich damit sagen? Dass ein Götzenopfer oder ein Götze etwas sei? Nein, was sie opfern, opfern sie den Dämonen und nicht Gott. Ich will aber nicht, dass ihr mit den Dämonen in Verbindung tretet. Ihr könnt nicht den Kelch des Herrn trinken und den Kelch der Dämonen. Ihr könnt nicht teilhaben am Tisch des Herrn und am Tisch der Dämonen.
Wie bei den jüdischen Opfern, war es auch bei den heidnischen: Wer von einem Opfer isst, hat teil am Altar, also Anteil am Opfer. Das Konzil von Trient lehrt, der hl. Paulus habe an dieser Stelle unzweideutig auf das Messopfer angespielt, „wenn er sagt, es könnten diejenigen, die durch die Teilhabe am Tisch der Dämonen befleckt seien, nicht am Tisch des Herrn teilhaben, wobei er unter Tisch beide Mal den Altar versteht“.[2] Der Tisch der Dämonen ist jedenfalls sicher ein Altar oder eben Sakraltisch und dasselbe gilt auch für den Tisch des Herrn.
Paulus spricht zudem von der Teilhabe am Altar bzw. Tisch, denn man saß nicht an einem Sakraltisch, sondern aß von ihm. So empfingen auch die Christen vom Altar die hl. Kommunion, saßen oder lagen aber nicht an ihm. Zudem ist nur von einem Tisch des Herrn die Rede, während man für das vorausgehende Mahl mehrere Tische entsprechend der Zahl der Teilnehmer brauchte.
Im Hebräerbrief (13,20) heißt es dann: „Wir haben einen Altar, von dem die nicht ermächtigt sind zu essen, die dem Zelt dienen.“ Damit sind die Juden gemeint. Sie dürfen nicht vom christlichen Altar, vom Tisch des Herrn essen, also die hl. Kommunion empfangen. Der Hebräerbrief wurde wie die anderen Briefe beim Gottesdienst vorgelesen, und damit war klar, was die Gläubigen unter dem Altar verstanden.
Wenn zudem die Nachricht richtig ist, dass in der Lateranbasilika der Altartisch aufbewahrt wird, an dem Petrus zelebriert hat, zeigt das ebenfalls, dass man nicht einfach einen Tisch vorübergehend für die Messe verwendete und anschließend wieder profan gebrauchte. Die Christen wussten ganz genau, dass der hl. Petrus im Haus des Senators Pudens an diesem Tisch die Messe gefeiert hatte und behandelten ihn entsprechend ehrfurchtsvoll.
Der hl. Ignatius v. Antiochien († 107 n. Chr.) spricht in seinen Briefen sechsmal vom Altar, nie vom Tisch, und zwar immer im Zusammenhang mit dem christlichen Gottesdienst.
Nehmt also eifrig an der einen Eucharistie teil! Denn es gibt nur ein einziges Fleisch unseres Herrn Jesus Christus und einen einzigen Kelch zur Einigung seines Blutes, einen einzigen Altar wie einen einzigen Bischof zusammen mit dem Presbyterium und den Diakonen“ (Brief an die Philadelphier 4).
Alle wie ihr in einen Tempel Gottes zusammenkommt, wie bei einem Altar, so bei einem Jesus Christus“ (Brief an die Magnesier 7,1 f).
Bei anderen Kirchenvätern sieht man, dass sie die Begriffe „Altar“ und „Tisch“ ganz synonym verwendeten. So sagte Ambrosius zu den Neugetauften, sie sollten zum Altar Christi eilen, um am himmlischen Gastmahl teilzunehmen, das Christus selbst am Tisch des hochheiligen Altars bereitet habe (De mysteriis 8,43). Der Tisch war also niemals ein gewöhnlicher Esstisch, sondern ein Sakraltisch bzw. Altar.
In Megiddo bei Nazareth hat man sogar einen Kultraum gefunden, der wahrscheinlich aus dem 3. Jh. stammt. Der Fuß eines offenbar massiven Steinaltars ist noch erhalten und die Inschrift des sich davor befindenden Mosaiks bringt die Übergabe des Tischs an Gott zum Ausdruck: „Die gottliebende Akeptous hat den Tisch dem Gott Jesus Christus zum Gedächtnis dargebracht.“ Obwohl in dieser Zeit noch Holzaltäre üblich gewesen sein dürften, haben wir hier also schon das Beispiel eines Steinaltars. Im Übrigen waren auch die heidnischen Altäre immer einem bestimmten Gott geweiht, und man durfte am selben Altar keinem anderen Gott opfern, was bei den Heiden zu einer Vielzahl von Altären führte.
Das Bild von am Esszimmertisch Eucharistie feiernden Urchristen ist also nichts als eine Erfindung neuzeitlicher Liturgiewissenschaftler, die von der neueren Forschung widerlegt wurde.
Möglich und sogar wahrscheinlich ist allerdings, dass die Altäre oder Sakraltische am Anfang keine besondere Weihe empfingen. Sie wurden durch den Gebrauch, d. h. durch die Feier der hl. Messe zum Altar. So sagte Origenes (um 240 n. Chr.), die Altäre würden nicht „mit dem Blut von Schafen besprengt, sondern durch das kostbare Blut Christi konsekriert“ (In Jesu Nave, hom. 2,1). Eine eigentliche Altarweihe kommt zuerst im Osten in der Mitte des 4. Jahrhunderts auf.
Etwa ab dem 6. Jahrhundert erlaubte man nur noch die Verwendung von steinernen Altären. Die erste kirchliche Vorschrift dafür findet sich im Kanon 26 der Synode von Epson (517 n. Chr.). Ein solcher Altar besteht aus einer Altarplatte, dem Unterbau und dem Reliquiengrab. Die Altarplatte ist aus einem einzigen, unversehrten natürlichen Stein gemacht. Zerbricht sie, ist der Altar zerstört und entweiht.
Das Reliquiengrab, das meist in diese Platte eingelassen ist, sich aber auch darunter befinden kann, erinnert an die Zeit, als das Messopfer bisweilen über den Gräbern der Märtyrer dargebracht wurde. Es ist zudem angemessen, dass diejenigen, die Christus in seinem Opfertod am ähnlichsten geworden sind, dort ihre Ruhestätte finden, wo das Opfer Christi erneuert wird. Darum müssen in jeden Altar Märtyrerreliquien gegeben werden, wozu man noch die Reliquien von anderen Heiligen hinzufügen darf. Damit wird gewissermaßen nachgeahmt, was der hl. Johannes in seiner Vision auf Patmos schaute: „Als es [das Lamm] das fünfte Siegel öffnete, sah ich unter dem Altar die Seelen derjenigen, die hingemordet wurden um des Wortes Gottes und um des Zeugnisses willen, das sie festhielten“ (Offb 6,9). Die Altarplatte ist so mit dem Unterbau verbunden, dass sie von diesem nicht getrennt werden kann, ohne die Konsekration zu verlieren.
Viele unserer Kirchen besitzen aber nur einen hölzernen Altar, in den ein Altarstein eingelassen ist. Dieser Altarstein, der so groß sein sollte, dass wenigstens Kelch und Patene auf ihm Platz haben, bildet hier im Grunde den eigentlichen Altar, denn auch in ihm gibt es ein Reliquiengrab, und er wurde vom Bischof konsekriert.
Der erhöht stehende Altar mit dem Kreuz ist ein mystisches Golgotha, und manchmal sieht man in ihm auch die Steinplatte, auf die man den Leichnam Christi im Grab legte.
Vor allem symbolisiert der Altar Christus selbst, wie der Bischof im Ritus der Subdiakonatsweihe erklärt: „Der Altar der heiligen Kirche nämlich ist Christus selbst, nach dem Zeugnis des hl. Johannes, der in seiner Offenbarung mitteilt, dass er einen goldenen Altar gesehen habe, der vor dem Thron stand, und auf dem und durch den die Opfer der Gläubigen Gott dem Vater geweiht werden.“ Darum werden in die Altarplatte fünf Kreuze eingemeißelt, die an die fünf Wunden Christi erinnern sollen. Der steinerne Altar ist auch Zeichen für Christus, da er sich als den Stein bezeichnete, den die Bauleute verworfen haben, der aber zum Eckstein wurde (vgl. Mt 21,42, wo Christus den Psalm 117 auf sich bezieht). Der Altar wird sodann bei seiner Weihe mit Chrisam, dem erhabensten der drei Öle, die der Bischof am Gründonnerstag weiht, gesalbt, weil Christus „der Gesalbte“ bedeutet.
Anmerkungen
[1] Regensburg (Schnell & Steiner) 2019
[2] Sessio 22, cap. 1; Denzinger-Hünermann (DH) 1742