Der Becciu-Prozess kommt in die heiße Phase

Quelle: FSSPX Aktuell

Der Strafverfolger des Vatikans, Alessandro Diddi (2015)

In dem viel beachteten Prozess vor dem Gerichtshof des Vatikanstaates geht es vorrangig um verlustreiche Investitionen des Staatssekretariats in eine Londoner Luxusimmobilie. Der finanzielle Schaden liegt laut Auskunft der Strafverfolgungsbehörde bei etwa 217 Millionen Euro.

Die besten Geschichten schreibt das Leben: Der Beginn des Strafprozesses rund um den vatikanischen Finanzskandal und den angeklagten Kurien-Kardinal Giovanni Angelo Becciu lief ab wie ein Krimi. Geheimnisvolle Regisseure hatten eine gute Dosis Amnesie genommen, fügten eine attraktive Spionin, russische Geschäftsleute und einige kompromittierende Akten hinzu, mischten das Ganze mit Sitzungsunterbrechungen und dem unerwarteten Auftauchen eines sichtlich erregten Hauptzeugen und schon hat man die Verhandlungstage des Prozesses im Vatikan atmosphärisch erfasst. Die 15., 16. und 17. Anhörung fanden jeweils am 18., 19. und 20. Mai 2022 statt. 

Die fünfzehnte Sitzung war die bisher längste: Fast acht Stunden lang hörte sich das Gericht in einer insgesamt geradezu elektrisierenden Atmosphäre den lebhaften Wortwechsel zwischen dem vatikanischen Strafverfolger Diddi und Kardinal Becciu über die mutmaßliche unrechtmäßige Verwendung von Geldern des Staatssekretariats an. 

Der Kirchenfürst legte zunächst Wert darauf, die Dinge in Bezug auf den 2017 entlassenen ehemaligen Rechnungsprüfer des Vatikans, Libero Milone, klarzustellen. Der Betroffene hätte eine „Verleumdung“ vermutet, die die Handschrift der „alten Garde“ einer Kurie trage, die sich durch seine Prüfungsarbeit „bedroht“ fühlte. Nichtsdestotrotz hätte hinter der Entlassung angeblich er ausdrückliche Wunsch des Papstes gestanden. Im ordnungsgemäßen Verhör äußerte Becciu: „Ich bin siebzig Jahre alt, der Stress dieses Prozesses hat mein Gedächtnis stark beeinträchtigt“, und, „Nein, ehrlich gesagt, ich erinnere mich nicht; (...) nein, ich erinnere mich nicht an ihn“. Der ehemalige Stellvertreter des Staatssekretärs plädiert aus diesem Grund mehrmals auf partielle Amnesie, was Alessandro Diddi so sehr verärgerte, dass er sagte: "Er täuscht es vor“. Das wiederum führte zu einem Ordnungsruf des Vorsitzenden und einer Unterbrechung der Sitzung, um die Gemüter zu beruhigen. 

Auf die Frage nach seiner Beziehung zur “Sicherheitsberaterin” Cecilia Marogna, die vom Vatikan unter anderem für Spionagearbeiten eingestellt worden war, erklärte der Kardinal, dass er sie nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in seinen Privaträumen empfangen hatte: „Sie war am Boden zerstört, es war ein priesterlicher Akt. (...) Sie blieb bis spät in die Nacht zum Gespräch. Die Nonnen sagten mir, dass sie aus Angst vor Covid nicht in das Hotel zurückkehren wollte. Sie schlief in ihrer Unterkunft. Ich traf sie am nächsten Tag beim Frühstück wieder, wir verabschiedeten uns und ich ging dann zur Kongregation.“ Eine Darstellung, die auf den Anklagebänken für Schmunzeln sorgte ... 

Cecilia Marogna war auch bei der sechzehnten Anhörung ein Thema: Die Angeklagte legte einen über zwanzig Seiten umfassenden Schriftsatz vor, der von ihrem Anwalt eingereicht worden war. Der Schriftsatz wurde in der Anhörung verlesen und an die Presse ausgehändigt. In Marognas Rechtfertigungsversuch tauchen viele Namen, Beziehungen und Vorfälle auf: russische Geschäftsleute, die dem Herrn des Kremls nahestehen, Spionageversuche, ein Treffen zwischen Kardinal Becciu und dem selbsternannten Präsidenten Kataloniens, Carles Puigdemont, zur Zeit der Krise in Spanien, ganz zu schweigen von der Infragestellung der Moral von Bischof Edgar Pena Parra, dem neuen Substituten des Staatssekretärs. 

Man hatte das Gefühl, sich mit dem Gerichtssaal in einer Geschichte von Dan Brown zu befinden. Das theatralische Intermezzo fand dann am 19. Mai um 15.03 Uhr statt: Bischof Alberto Perlasca, ehemaliger Büroleiter des Staatssekretariats und Hauptzeuge des Prozesses - einer der Zeugen, der Kardinal Becciu im Fall des Londoner Gebäudes entlastet - stürmte in einem Ordensgewand und mit einem schwarzen Rucksack über der Schulter herein. Als der Vorsitzende des Gerichts ihm befahl, den Saal zu verlassen, rief der Prälat rief aus: „Nein, ich bleibe!“. Wenig später kam er der Aufforderung dennoch nach.  

Als der Vorsitzende Richter Giuseppe Pignatone schließlich die Frage der vom Staatssekretariat auf Schweizer und englische Banken transferierten Gelder anspricht, die die Investition in Londoner Immobilien ermöglichten, verweist Kardinal Becciu darauf, dass diese „technischen Details“ von seinen Untergebenen geregelt wurden; insbesondere von Erzbischof Perlasca und dem Personal des Verwaltungsbüros, darunter einenem gewissen Finanzmanager namens Fabrizio Tirabassi. 

Die Befragung des ehemaligen Angestellten des Staatssekretariats Tirabassi fand am nächsten Tag in der siebzehnten Sitzung statt, die vier Stunden dauern sollte: Im Zeugenstand erklärte der Angeklagte die Entstehung der Sloane-Avenue-Affäre, die im Mittelpunkt des Prozesses steht. Die Verteidigung von Kardinal Becciu und seine „Ignoranz gegenüber technischen Details“ strapazierend, versicherte Fabrizio Tirabassi, dass er täglich mit Erzbischof Perlasca in Verbindung stand, dem er seine Anweisungen anvertraute. Darüber hinaus erwähnte der ehemalige Beamte ein Investitionsprojekt aus dem Jahr 2013 in eine Ölfördergesellschaft in Angola, die Falcon Oil & Gas Ltd. 

Dieses Projekt wurde von einem angolanischen Unternehmer betrieben, der persönlich mit Kardinal Becciu verbunden war. Diese Bekanntschaft kam zustande, als der hohe Prälat als Apostolischer Nuntius in Angola tätig war, bevor er zum Substituten des Staatssekretariats ernannt wurde. Der angolanische Geschäftsmann und das Staatssekretariat hatten jeweils rund 250.000 Euro in eine Studie investiert, die schlussendlich mit einem Rückzieher des Heiligen Stuhls endete. Denn es „gab neben den Risiken verschiedene Probleme: Umweltprobleme und nicht minder Probleme mit Reputationsfragen, da die Ölförderung in dieser Region ziemlich umweltschädlich ist“, erklärte Fabrizio Tirabassi. 

Seiner Meinung nach wurde Kardinal Pietro Parolin im Oktober 2013 von Papst Franziskus zum Staatssekretär ernannt, um diese Angelegenheit zu regeln. Der Heilige Stuhl begann sich daraufhin für die Londoner Immobilie zu interessieren, die im Mittelpunkt der gesamten Affäre steht. Eine Immobilie, die vom angeklagten Fondsmanager Raffaele Mincione angeboten wurde, also dem Makler, dessen Name auch in dem angolanischen Projekt auftaucht ... Die Verteidigung von Fabrizio Tirabassi erklärte anschließend: „Unser Mandant hat keine Straftat begangen.“ Das einzige Rätsel in dieser ganzen Geschichte sei, warum man ein Immobiliengeschäft, das der Heilige Stuhl mit einer gütlichen Einigung abschließen wollte, überhaupt vor Gericht gezerrt habe. 

Der Vorsitzende Richter Giuseppe Pignatone verabredete sich mit den Richtern und Journalisten für den 30. Mai, um die Fortsetzung des Prozesses zu besprechen, der nun endlich in die heiße Phase gekommen zu sein scheint.