Das Wirken der Priesterbruderschaft St. Pius X. in Polen - Ein Interview

Quelle: Distrikt Deutschland

Neues Schulgebäude in Warschau

Aus einem Interview mit Pater Karl Stehlin

Am 28. Dezember 2021 veröffentlichte die US-amerikanische Zeitschrift „Catholic Family News“ ein Video-Interview mit Pater Karl Stehlin über die Entwicklung des Osteuropa-Distrikts der Priesterbruderschaft St. Pius X. Das Interview führte der Chefredakteur Brian McCall.

Hier darf mit Erlaubnis von Pater Karl Stehlin ein Ausschnitt des einstündigen Gespräches in deutscher Sprache wiedergegeben werden, der einen schönen Einblick in das Wirken der Priesterbruderschaft in Polen gibt. Pater Karl Stehlin hat die folgende Übersetzung durchgesehen und das ursprünglich frei gesprochene Wort etwas geglättet.

Brian McCall: Ich hoffe, Sie hatten ein schönes Weihnachtsfest.

Pater Karl Stehlin: „Wir hatten ein sehr schönes Weihnachten. Wir hatten hier in Warschau im Priorat 1.500 Gläubige in fünf heiligen Messen. Die Priester haben vorher rund um die Uhr, bis in die Nacht, die Beichten der Gläubigen gehört. So hatten wir Priester doch ein bisschen Arbeit zu leisten und sind jetzt tatsächlich ein wenig müde. [Er lacht.]

Brian McCall: Können Sie sich kurz den Leuten, die uns zuhören, vorstellen?

Pater Karl Stehlin: Ich bin seit 33 Jahren Priester. Ich wurde von Erzbischof Marcel Lefebvre am 29. Juni 1988, am Vortag der Bischofskonsekrationen, zum Priester geweiht. Meine Seminarausbildung habe ich im deutschsprachigen Seminar der Bruderschaft erhalten. Noch als Diakon wurde ich nach Gabun gesandt. Meine Ernennung erhielt ich also in den afrikanischen Dschungel. Ich war dort bis ins Jahr 1994, also mehr als acht Jahre.

Danach wurde ich zum ersten Oberen des ersten polnischen Hauses ernannt. Wir haben unser Apostolat in den osteuropäischen Ländern ja bei null anfangen müssen. Es gab, als ich in Warschau ankam, überhaupt keine Struktur. Aber es war wirklich wunderbar, hier mit dem Apostolat beginnen zu dürfen, in diesem Land, das besonders der Muttergottes geweiht ist.

Es war ein schwieriger Anfang. 1994 waren wir nur zwei Priester.

Nachdem ich 20 Jahre lang in Polen wirken durfte, haben mich die Oberen versetzt. Ich glaubte schon, sie hätten mich nach so vielen Jahren vergessen. [Er lacht.]

Dann war ich vier Jahre Distriktoberer für unsere asiatischen Missionen. Dann kam das Generalkapitel der Bruderschaft und es wurde beschlossen, mich nach Polen zurückzuschicken. Seit letztem August ist aus dem Autonomen Haus Polen ein richtiger Distrikt für Polen und die osteuropäischen Länder geworden.

Im Jahr 2000 habe ich mit der Erlaubnis des Generaloberen die ursprüngliche Observanz der Militia Immaculatae des hl. Maximilian Kolbe wiederbeleben dürfen. Sie hat sich mittlerweile weltweit ausgebreitet und wir haben heute in 62 Ländern 125.000 Ritter der Immaculata. Die MI zu begleiten ist ein bisschen mein Nebenjob. [Er lacht.]

Brian McCall: Sie haben Polen genannt. In welchen anderen osteuropäischen Ländern ist die Bruderschaft tätig?

Pater Karl Stehlin: Wir wirken auch in der Ukraine. Dort hat unser ehemaliger Generaloberer, Bischof Bernard Fellay, die Priesterbruderschaft St. Josaphat für Priester des byzantinischen Ritus gegründet. Unsere Patres reisen auch regelmäßig in die baltischen Länder – Litauen, Lettland und Estland –, nach Weißrussland – Minsk – und nach Russland – Moskau.

Wir haben zurzeit vier Priorate in Polen und ein Priorat mit fünf Priestern in Litauen.

Brian McCall: Vor kurzem hat ein polnischer Dominikaner, Pater Wojciech Gołaski, in einem offenen Brief seine Unterstützung für die Bruderschaft erklärt.

Pater Karl Stehlin: Pater Wojciech Gołaski kannte ich schon mehrere Jahre. Er wurde vor 28 Jahren geweiht und ist seit 35 Jahren Mitglied im Orden der Predigerbrüder. Er zelebrierte die alte Messe und war ein „Ecclesia Dei“-Priester. Er konnte viele Jahre unsere Haltung gar nicht verstehen und wir hatten in der Vergangenheit tatsächlich einige „freundliche Auseinandersetzungen“.

Am 16. Juli 2021 bekam ich einen Telefonanruf von ihm. Er sagte mir, er würde sich jetzt hinknien und mich für alles Böse, was er über die Bruderschaft gesagt habe, um Verzeihung bitten. 

An diesem Tag war das Motu proprio „Traditionis custodes“ [Wächter der Tradition] erlassen worden – wir nennen es hier „Traditionis persecutores“ [Verfolger der Tradition]. [Er schmunzelt.]

Nur eine Stunde nach Erscheinen klopfte sein Oberer an die Tür seiner Klosterzelle und sagte ihm: „Jetzt ist Schluss mit der alten Messe.“

Er hatte seit Jahren nur die überlieferte Messe gefeiert, was er konnte, weil er in einem Exerzitienhaus arbeitete. Jetzt sagte ihm sein Oberer: „Nach dem neuen Dokument musst du die neue Messe feiern“. Der Pater antwortete: „Ich kann nicht.“ Der Obere: „Dann geh!“

Der Pater sagte: „Okay! Ich gehe.“ Er rief mich an und erklärte mir die Situation.

Ich war sehr von seiner Demut berührt. „Traditionis custodes“ öffnete ihm die Augen.

Ich konnte ihm nur sagen: „Sie sind herzlich willkommen.“ Er ist jetzt einer von den Priestern, die sich unserem Apostolat in Polen angeschlossen haben.

Ich bitte jeden Priester, der zu uns kommt, um mit uns zu arbeiten, eine „Apologie“, eine Rechtfertigung, ihrer Position zu schreiben. Denn es ist kirchenrechtlich ja eine schwerwiegende Sache, eine Diözese, eine Pfarrei, einen Orden oder eine kanonische Sendung zu verlassen. In dieser theologischen Rechtfertigung sollen die Priester erklären, warum sie sich im Gewissen verpflichtet fühlen, ihre kirchenrechtlichen Strukturen zu verlassen. Sie tun es ja, weil sie den katholischen Glauben bewahren wollen, weil sie die überlieferte Messe beibehalten wollen und – vor allem – weil sie ihre eigene Seele retten müssen.

Seit 2019 haben sich unserem Distrikt nicht weniger als 13 Priester angeschlossen.

Brian McCall: 13 Priester? Wo können Sie die denn alle unterbringen? Haben Sie genug Platz im Priorat?

Pater Karl Stehlin: Nun, das ist eine gute Frage, unsere Häuser sind voll, absolut voll.

Das ist schön, wir schauen uns gerade um, wie wir es schaffen, sie unterzubringen.

Wenn ich eines meiner Priorate besuchen will, muss ich in einem Gasthaus oder bei Gläubigen unterkommen. Es gibt keinen Platz mehr, es gibt nicht mal mehr ein Bett.

Wir werden – so Gott will – im kommenden August ein neues Priorat eröffnen können. Hinzu kommt die Vergrößerung unserer Schule – die Akademie des hl. Thomas von Aquin – in Warschau. Hier werden mittlerweile 280 Kinder unterrichtet. Dafür haben wir ein ganz neues Gymnasialgebäude errichtet und dort werden wir Platz für eine eigene Kommunität von Priestern schaffen.

Es ist eine wichtige Frage, wie diese Priester, die zu uns kommen, ihre Identität bewahren können. Ich folge dem Rat des Erzbischofs, der entweder diese Priester in die Bruderschaft aufgenommen hat oder sie als befreundete Priester mitarbeiten ließ. Diese Priester wollen ja in dieser schrecklichen Katastrophe der Kirche geistlich überleben. Manche wollen ihre monastische Identität bewahren. Wir diskutieren das. Mit uns leben jetzt zwei Franziskaner, ein Redemptorist und ein Pallotiner.

Brian McCall: Sind sie alle wegen „Traditionis custodes“ gekommen?

Karl Stehlin: Nein, seitdem die Situation in der Kirche unter Papst Franziskus so ist, wie sie ist. Denken wir an alle diese Dokumente aus Rom, „Amoris laetitia“, die Amazonas-Synode, Pachamama, der Pan-Ökumenismus, die Abu-Dhabi-Erklärung, „Fratelli tutti“. All dieser – ich muss es sagen – theologische Unsinn, den wir erleben.

Für manche war auch das Agieren der polnischen Bischöfe in der Corona-Krise ein Motiv. Zum ersten Mal in der Geschichte Polens gab es im Land keine Osterfeierlichkeiten mehr. Den Katholiken wurde gesagt, wenn sie Karfreitag in die Kirche gehen würden, wäre das eine Todsünde gegen das Fünfte Gebot. Da haben sich diese Priester die Frage gestellt: „Was mache ich hier eigentlich?“ Wir müssen Seelen retten, und die Bischöfe schließen die Kirchen.

Dann kam die Verpflichtung zur Handkommunion. Vor einigen Jahren empfingen noch 95 Prozent der Katholiken im Novus Ordo die Mundkommunion.

Ein Franziskanerpater wurde, weil er gegen die Handkommunion predigte, von seinem Oberen vorgeladen. Er sollte sich entschuldigen und ihm wurde die Suspendierung angedroht.

„Jetzt weiß ich, wohin ich gehen muss.“ Am Tag danach war er bei uns.

Wenn du einem Polen sagst, dieses oder jenes darfst du nicht tun, dann wird er es zweimal tun. [Er lacht.]

Brian McCall: Sie sprachen von 280 Schülern in Warschau. Dann müssen Sie auch einen gewissen Zulauf von neuen Gläubigen haben?

Pater Karl Stehlin: Die Zahl der Messbesucher in unseren Kapellen hat sich in im letzten Jahr verdreifacht.

Als ich 1994 hier in Polen anfing, war noch das Pontifikat Johannes Pauls II. „des Großen“.

Wenn man ein „Problem“ mit diesem Papst hatte, dann brauchte man hier kein weiteres Argument vorzutragen. Es kamen nur sehr wenige Gläubige. Ein Beispiel: In Warschau hatten wir die ersten zehn Jahre etwas mehr als hundert Gläubige. Dann kam „Summorum pontificum“ und die Aufhebung der Exkommunikation unserer Weihbischöfe. Das hat die Situation erleichtert. 2012 hatten wir dann ca. 300 Gläubige. 20mit unserer14 waren es schon 350, 2018 450, und ab 2019 ging es steil nach oben. Weihnachten waren es 1400. Jetzt haben wir sechs Messen und nutzen eine zweite Kapelle in unserer Schule.

Ich bin mittlerweile ein „Kapellenöffner“ – so wie ein Flaschenöffner. [Er lacht.] Allein im Jahr 2021 habe ich zwölf neue Kapellen eingeweiht: drei in der Slowakei und neun hier in Polen. Jetzt haben wir 32 Kapellen in Polen, wo wir regelmäßig hingehen, die hl. Messe lesen, die Beichten hören und die Sakramente spenden.

Brian McCall: Sie haben dieses Wachstum des Apostolates der Immaculata zugeschrieben. Warum? Warum kommen gerade diese Priester jetzt?

Pater Karl Stehlin: Zuallererst frage ich die Priester: „Was bringt euch zu uns? Was bringt euch dazu, ein solches Opfer zu bringen und alles zu verlieren?“ Es ist sehr schwer für Priester, zu uns zu kommen. Die Maschinerie der Ausgrenzung ist noch voll intakt. Es ist eine Art Inquisition unter modernistischen Vorzeichen. Man wird regelrecht der Ketzerei beschuldigt, man verliert seine Freunde, man erhält drastische Schreiben. Deshalb habe ich diese Priester gefragt, was sie dazu gebracht hat, die Tradition zu entdecken. Sofort sagen alle: Es ist die Muttergottes, die sie gerettet hat. Es war die Immaculata, die sie dazu gebracht hat, in diesem oder jenem Buch zu lesen oder diesen oder jenen Gedanken zu verfolgen. Sie wurden geführt. Als sie verzweifelt waren, fingen sie an, intensiv den Rosenkranz zu beten.

Das größte Hindernis für viele Priester, in diesem Moment zu uns kommen, ist einfach Angst. Es ist einfach die Angst vor dem Unbekannten, Angst davor, alles zu verlieren Es ist keine rationale Angst, es ist eine teuflische Versuchung.

Es war immer Unsere Liebe Frau vom guten Rat, die ihnen Kraft gab und sie in die richtige Richtung lenkte. In all den Schwierigkeiten erfuhren die Priester den Trost der Madonna. Vor kurzem, bei einem Studientag über die mariologische Spiritualität der Priesterbruderschaft, sagte mir ein Priester: „Unsere Liebe Frau hat mich in ihre Hände genommen!“

Die größte marianische Bewegung aller Zeiten, die Militia Immaculatae, wurde vom hl. Maximilian Kolbe in Polen begründet.

Polen ist konservativ geblieben, im Vergleich zu anderen Ländern der Welt sogar sehr konservativ. Bei all dem Progressismus gibt es noch das Rosenkranzgebet, die Andachten und Wallfahrten, die Heiligtümer. Es ist ein geistiges Fundament da. Auch wenn sie mittlerweile eine modernistische Ausbildung erfahren, vor allem in den Seminaren im Süden von Polen, so haben die Priester doch einen guten familiären Hintergrund. Es gibt wohl keinen, der nicht ohne eine marianische Frömmigkeit Priester geworden wäre. Die Polen lieben ihre Geschichte. Und die Frommen werden sagen: Das katholische Polen begann mit Unserer Lieben Frau, es existierte mit Unserer Lieben Frau, und es wurde durch Unsere Liebe Frau bewahrt. Der tiefe Geist des Glaubens, der sensus catholicus, ist erhalten geblieben.

Es gibt noch sehr viele Priester, die sich überlegen, uns anzuschließen. Das steht im Widerspruch zu dem, was wir gerade in Rom erleben.

Das ganze Interview, das vor allem noch dem Wirken der Militia Immaculatae nachgeht, ist unter folgender Internetadresse zu finden