Das Taborerlebnis ist für uns unfassbar, unverständlich, geheimnisvoll
Mehr als die Hälfte der Lehrtätigkeit des Herrn war schon vorüber. Jesus hatte hauptsächlich in Galiläa, der nördlichen Provinz des Judenlandes, gepredigt und Wunder gewirkt. Die Leute liefen von allen Seiten zusammen, um Ihn zu sehen; aber es war ihnen doch mehr um Seine Wunder zu tun, als um Seine Lehre. Wenn Er die Kranken geheilt, wenn Er Tote erweckt, wenn Er sie in der Wüste wunderbar gespeist hat, waren sie voll Begeisterung für Ihn; doch Seine Lehre verstanden sie nicht. Der Teufel hat bei der Versuchung des Heilands recht gehabt: Wenn Jesus nur immer Wunder gewirkt, wenn Er den Menschen in ihrer irdischen Not geholfen hätte, dann wäre die ganze Welt Ihm nachgelaufen. Doch weil Er ein Reich der Seelen gründen wollte, darum haben Ihn so wenige Menschen verstanden.
Er ist Gottes Sohn
Und so kam es, dass sich Jesus immer mehr von den Menschen zurückgezogen hat. Er wählte sich eine kleine Schar, die Er in seiner Lehre unterrichtete. Das sind die Apostel. Auch sie waren irdisch gesinnt, aber sie hatten einen guten Willen und ließen sich von Ihm führen. Er nahm sie darum in Seine Schule, um ihnen zwei Wahrheiten ins Herz einprägen. Zuerst mussten sie fest und unerschütterlich glauben, dass Er Gottes Sohn ist. Und das erreichte Er durch Seine Wunder. So hat Er eine Reihe von Wundern hauptsächlich für die Apostel gewirkt, damit sie von Seiner Gottheit fest überzeugt werden.
Drei Wunder für die Apostel
Da sind insbesondere drei solcher Wunder, die hintereinander geschehen sind.
Zuerst hat Jesus einmal in der Nacht den Sturm auf dem See Genezareth durch ein Wort gestillt. Wir können uns nur schwierig vorstellen, was das auf die Apostel für eine Wirkung gehabt hat: Sie waren selbst kundige Schiffer, die schon manchen Sturm erlebt haben. Und wenn sie jetzt den Herrn in ihrer Todesangst aufweckten: „Herr, rette uns, wir gehen zugrunde“, da musste die Situation sehr dramatisch gewesen sein. Ein einziges Wort des Herrn bringt die See zum Schweigen und es war eine große Stille. Deshalb riefen die Apostel: „Wer ist doch der, dass Sturm und Wellen ihm gehorchen!“
Kaum war der Heiland ans Land gekommen, da traf er einen Menschen, der von vielen Teufeln besessen war; der Herr trieb die Teufel aus dem Mann aus und ließ sie in die Schweineherde fahren. Diese liefen davon, stürzten sich in den See und ertranken. Die Bewohner wurden durch den Verlust der Schweine geschädigt. Doch der Herr hat Seinen Aposteln mit diesem Wunder gezeigt, dass Er der Herr über die Hölle ist.
Sofort bestieg Er das Boot und fuhr zurück nach Kapharnaum, wo Er sich am liebsten aufhielt. Dort warteten schon wieder die Leute auf Ihn, dass Er ihre Kranken heilen solle. Da kommt ein Ratsherr und bittet den Herrn, schnell zu kommen, denn seine zwölfjährige Tochter ist im Sterben. Jesus kommt, aber Er findet das Kind tot. Er nimmt es bei der Hand und weckt es vom Tod auf.
Schlag auf Schlag wollte der Herr den Jüngern zeigen, dass Er Herr über die Natur, die Hölle und den Tod ist.
Die Apostel mussten sich sagen, dass das kein (gewöhnlicher) Mensch sein kann. Und so hat denn Petrus im Namen aller Apostel gesagt: „Du hast Worte des ewigen Lebens; wir glauben, dass Du Christus bist, der Sohn Gottes.“ Das war der erste Punkt in der Schule Christi; die Apostel haben ihn erlernt und die Prüfung bestanden: Alle mit Ausnahme des Judas haben fest geglaubt, dass Er der Sohn Gottes ist.
Er ist der Mann der Leiden
Nun aber bleibt der zweite, viel schwierigere Lehrpunkt; der Heiland musste den Aposteln beibringen, dass Er leiden und am Kreuz sterben werde. Das wollten die Jünger nicht verstehen und nicht akzeptieren. Sie waren noch immer zu irdisch gesinnt; sie hofften noch immer, der Heiland werde ein irdischer König werden, werde ein großes Judenreich errichten, in dem sie Minister sein könnten. Dass aber der Herr den bitteren Kreuzestod erdulden müsse, um die Menschen zu erlösen, das wollte ihnen nicht eingehen. Das war der zweite Lehrpunkt Christi für die Apostel. Immer wieder bereitete Er sie auf Sein Leiden vor; dreimal lesen wir im Evangelium, wie Er ihnen genau Sein Leiden voraussagt.
Auf das Leiden vorbereiten
Die Verklärung hat den Zweck, die Jünger - hauptsächlich die Lieblingsjünger - auf Sein Leiden vorzubereiten. Denn Petrus, Jakobus und Johannes sollten Ihn am Ölberg in Seiner größten Todesnot sehen; darum wollte Er sich vor ihnen in Seiner himmlischen Verklärung zeigen.
Mit ihnen verließ Er darum die Schar Seiner Apostel und stieg auf einen hohen Berg; es ist der Berg Tabor in Galiläa. Nachts auf einem Berg zu beten war für die Apostel nichts Außergewöhnliches; oft hat Christus die Nächte einsam im Gebet zugebracht. Gegen Abend steigt Er mit den drei Jüngern zum Tabor hinauf. Bei ihrer Ankunft war es schon dunkel. Die Jünger sind müde und schlafen ein. Der Herr aber wacht und betet. Aus Seinem Gespräch mit Moses und Elias erfahren wir, dass Er im Gebet um die Erlösung der Menschen rang. Und wie Er betet, da kommt Er in Ekstase. Die göttliche Natur, die während seines irdischen Lebens wie mit einem Mantel verhüllt war, bricht jetzt durch und strahlt in herrlichem Glanz. „Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, seine Kleider waren weiß wie Schnee.“ Und jetzt kamen zwei Männer zu Jesus: Moses und Elias erschienen in Herrlichkeit und sprachen mit Jesus. Der Evangelist verrät uns, dass sie über Sein Ende in Jerusalem sprechen und wie sich dort Sein Leiden und Seine Mission erfüllen sollte. Sie sprachen also über Seinen Erlösungstod.
Petrus, der ausruft: „Wir wollen hier drei Zelte bauen“, meinte, das erwartete Messiasreich sei gekommen und Christus erscheine mit allen Heiligen und bleibe in Seiner Herrlichkeit hier. Er dachte, dass alle seine Vorstellungen und Träume plötzlich erfüllt würden.
Abrupte Ernüchterung
Aber für die Apostel kommt es anders. Eine lichte Wolke überschattet sie. Sie hören die Stimme Gottes: „Dieser ist Mein geliebter Sohn, an dem Ich mein Wohlgefallen habe; Ihn sollt ihr hören!“ Und dann wird es dunkel und Jesus ist allein mit ihnen.
Das Taborerlebnis zeigt den drei Lieblingsjüngern die beiden Grundlagen für die Erlösung der Menschheit.
- Jesus ist Gottes Sohn.
- Gottes Sohn muss leiden und sterben für das Heil der Menschen.
Beide Wahrheiten, so sehr sie sich nach menschlichem Ermessen zu widersprechen, ja sogar gegenseitig auszuschließen scheinen, sind die Grundpfeiler des göttlichen Erlösungsplans. Gemäß göttlichem Ratschluss sind Leid und Gnade wesentlich miteinander verknüpft. Es gibt keine Gnade ohne Leid und kein Leid ohne das Versprechen der Gnade.
Das Taborerlebnis ist für die Apostel wie für uns unfassbar, unverständlich, geheimnisvoll.