Das Sakrament der Krankensalbung
Der November läutet das Ende des Kirchenjahres ein und lenkt unsere Gedanken hin auf die Letzten Dinge: „Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh der ewigen Heimat zu ...“ Für den, der in Verbundenheit mit Gott stirbt, ist der Tod nicht ein grausamer Verlust des Lebens, sondern das Eingehen in die ewige Heimat, für die wir geschaffen sind. Eben dafür, dass unser Leben ein seliges Ende hat, hat unser Herr Jesus Christus eigens ein Sakrament eingesetzt: die Krankensalbung, auch genannt die Letzte Ölung.
Das Neue Testament spricht im Brief des hl. Apostels Jakobus davon:
Ist einer krank unter euch, so rufe er die Priester der Kirche. Diese sollen über ihn beten und ihn mit Öl salben im Namen des Herrn. Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken zum Heil sein: Der Herr wird ihn aufrichten, und wenn er in Sünden ist, so werden sie ihm nachgelassen werden. (Jak 5,14–15)
Wer kann und soll dieses Sakrament empfangen? Der hl. Jakobus sagt: die Kranken; gemeint sind die ernstlich Kranken, die in Lebensgefahr sind. Dabei muss es sich aber nicht unbedingt um eine akute Lebensgefahr handeln. Dieses Sakrament darf auch empfangen, wer an einer Krankheit leidet, die längerfristig zum Tod führen kann.
Welche Wirkung hat dieses Sakrament nach dem Willen Jesu?
Die Salbung mit dem Krankenöl, das einmal jährlich am Gründonnerstag vom Bischof in der Ölweihmesse geweiht wird, geschieht zur „Aufrichtung“ des Kranken, schreibt Jakobus. Die Krankensalbung unterstützt die natürlichen Heilkräfte des Leibes. Darum soll es nach Möglichkeit frühzeitig gespendet werden, zu einem Zeitpunkt, wo die natürlichen Heilkräfte des Leibes noch nicht am Versiegen sind. Es ist ein falsches Urteil, dieses Sakrament quasi als eine „Besiegelung des Todes“ anzusehen. Das Gegenteil ist richtig: In den Gebeten zur Krankensalbung wird von Gott die Gesundung erbeten, „damit der Kranke wieder seinen Pflichten nachkommen könne“. Darum ist es die Sorge der Kirche, dass der Priester sogleich gerufen wird, wenn jemand so ernstlich erkrankt ist, dass seine Erkrankung über kurz oder lang zum Tod führen kann.
Gott allein weiß, was für einen Menschen im Hinblick auf sein ewiges Heil das Beste ist. Während die aufrichtende Wirkung für den Leib nicht in jedem Fall gewährt wird, wenn Gott es in seiner liebenden Vorsehung so für gut befindet, erfährt doch die Seele in jedem Fall die „Aufrichtung“, wenn der Empfänger wenigstens eine unvollkommene Reue für seine Sünden hat. Das Sakrament ist also auch dazu eingesetzt, Kranke, die in Lebensgefahr schweben, seelisch auf den Augenblick des Todes vorzubereiten. Damit sie im persönlichen Gericht vor dem Angesicht Gottes bestehen können, tilgt die Letzte Ölung in der Kraft des kostbaren Blutes Jesu Christi die Reste von Sündenschuld und Sündenstrafe, die trotz Beichte evtl. noch vorhanden sind. Das heißt, diese heilige Salbung ersetzt nicht das Bekenntnis der Sünden im Rahmen des Bußsakraments und die dortige Lossprechung, sondern ergänzt es. Insbesondere bewirkt sie die oft auch mit der Beichte noch nicht vollkommen geleistete Wiedergutmachung. Diese müsste ansonsten im Fegefeuer abgegolten werden.
Weil der Mensch mit allen fünf Sinnen sündigt, werden alle fünf Sinne mit dem hl. Krankenöl gesalbt. Im Ausnahmefall, wenn es schnell gehen muss, genügt allerdings auch eine Salbung auf der Stirn mit den Worten: „Durch diese heilige Salbung tilge der Herr deine Vergehen!“ Diese Salbung ist allerdings nur dann gültig, wenn sie von einem Priester vorgenommen wird, ansonsten würde man den Kranken um die Sakramentsgnade betrügen. Vorbereitend muss der Kranke wenigstens alle seine schweren Sünden beichten, wenn er dazu noch in der Lage ist. Es ist eine schwerwiegende Pflicht der Angehörigen, auch dafür den Priester rechtzeitig zu rufen. Dennoch wird die Letzte Ölung auch ohne vorherige Beichte Bewusstlosen gespendet, oder Kranken, die sich nicht mehr äußern können. Wenn sie wenigstens eine unvollkommene Reue für ihre Sünden haben (d.h. eine Reue aus Furcht, von Gottes Gerechtigkeit zur Rechenschaft gezogen zu werden), kann dieses Sakrament seine Wirkung trotzdem entfalten und dem Kranken die Nachlassung selbst schwerer Sünden und Sündenstrafen vermitteln. Was für ein Erweis der Barmherzigkeit Gottes!
Gott möchte uns angesichts einer drohenden Lebensgefahr durch dieses Sakrament die Taufunschuld wiederherstellen, damit wir Ihm mit reiner Seele entgegengehen können. Die Letzte Ölung ist eine Stärkung für die Seele, die im Todeskampf besonderen Angriffen der Dämonen ausgesetzt sein kann, die versuchen, sie vom Gottvertrauen abzubringen und in Verzweiflung zu stürzen. Die Wirkung des empfangenen Sakramentes dauert fort: Solange jemand (auch während einer langen Zeit) an ein und derselben Krankheit leidet, braucht die Krankensalbung im Prinzip nicht wiederholt zu werden, wenngleich eine jährliche Erneuerung erlaubt ist und angeraten wird.
Der Augenblick des persönlichen Gerichts unmittelbar nach dem Tod entscheidet über unsere ganze Ewigkeit. Das Urteil Gottes über unser Leben und den Zustand unserer Seele ist unabänderlich. Welch einen größeren Trost kann man in dieser Lage empfangen, als in diesem Sakrament von Christus selbst (durch den Priester) auf den Tod vorbereitet und mit seinen Erlösungsverdiensten beschenkt zu werden? – Beten wir regelmäßig um diese Gnade! Die Kirche legt uns in der Allerheiligenlitanei das Stoßgebet ans Herz: „Vor einem jähen und unvorhergesehenen Tode bewahre uns, o Herr!" Aber auch das Ave-Maria, täglich dreimal im Gebet des Angelus („Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft …“) rezitiert, sichert uns den Beistand Mariens in diesem entscheidenden Augenblick. Sie kann uns diese Gnade erwirken, im Sterben einen Priester an unserer Seite zu haben, der uns die letzten Tröstungen der Kirche schenkt – für ein seliges Sterben.
Von Pater Andreas Mählmann