Das Leiden Christi und das Grabtuch Jesu. Teil 6

Quelle: Distrikt Deutschland

In diesen gnadenreichen Tagen der Vorfasten- und besonders in den Tagen der Fastenzeit betrachtet die Kirche besonders das Leiden unseres Herrn Jesus Christus. Diese Leiden Christi, der zweiten Person des dreieinen Gottes, der für uns Mensch geworden ist um leiden zu können, um zu leiden zur Sühne für unsere Sünden, findet seinen Ausdruck im Turiner Grabtuch. Das Grabtuch trägt das Abbild des gekreuzigten Christus und zeigt bis heute die Qualen, die der Heiland für uns ertragen hat.

Lesen Sie heute den sechsten Teil der Artikelreihe über das Turiner Grabtuch, die uns anregen kann, die Leiden unseres Erlösers zu betrachten um uns so auf das Fest der Auferstehung vorzubereiten.

4. Das Grabtuch von Turin und die anderen monotheistischen Religionen

Das Grabtuch von Turin ist gleichsam richtunggebend, wenn man die anderen monotheistischen Religionen näher betrachtet.

Der Islam leugnet sowohl die Kreuzigung als auch den Tod Jesu am Kreuz. Er erkennt weder die historische Auferstehung Christi an noch die Gottheit unseres Herrn Jesus Christus.[13] Das Grabtuch von Turin hingegen bestätigt die historische Echtheit der Evangelien, denn es beschreibt mit einer Fülle von Details die Passion Christi, die der Islam als verfälscht hinstellt.

Was das Judentum anlangt, so fügt sich das Grabtuch voll und ganz in den jüdisch-historischen Kontext. Es gestattet uns einen Blick auf das Begräbnisritual, so wie es bis heute noch gebräuchlich ist.

Das Grabtuch enthüllt uns diese geheimnisvolle Person, die schon im Alten Testament als Knecht Gottes angekündigt ist und die sich wie ein Lamm hinopfern lässt. Das Grabtuch bestätigt den Mann des Grabtuches als den seit Jahrhunderten angekündigten Messias, z. B.: Jesaia, Verurteilung und Passion (Is 52,13f; 53,7f; 53,10ff) sowie die Geißelung (Is 50,6).

Sacharja kündigt schon sowohl den Ort der Passion, Jerusalem, als auch den Lanzenstich an: „Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben.” (Sach 12,10)

In den Psalmen wird Folgendes vorhergesagt: Die bittere Gottverlassenheit, die völlige Nacktheit, der quälende Durst, der mit Essig gelöscht wird. Und es wird auf die Kreuzigung angespielt (Ps 22,2.15ff; 69,22; 22,17)

Aber der Mann des Grabtuches ist auch das geschlachtete Lamm der Apokalypse, das „würdig ist, Macht und Reichtum und Weisheit und Kraft und Ehre und Herrlichkeit und Lobpreis“ zu empfangen (Offb 5,12).

Für die Juden zur Zeit Jesu verweist das Grabtuch vor allem auf das Zeichen des Jona (Mt 16,4).

Nicht zuletzt darf man nicht übersehen, dass das Doppelbild des Grabtuches eine besondere Bedeutung aus der jüdischen Mystik erhält. Im jüdischen Denken nimmt die Zahl Zwei eine Schlüsselstellung ein. So wird im „Buch der Schöpfung“[14] erwähnt, dass die Zahl Zwei „Hauch vom Hauch“ bedeutet. Aber auch, dass sie den Menschen symbolisiert, dass sie daran erinnert, dass für eine Aussage bei Gericht zwei Zeugen nötig sind, um die Wahrheit zu bestätigen. Schließlich spielt die Zahl Zwei auf den Bund Gottes mit seinem Volk an, den er am Berg Sinai mit den zwei Gesetzestafeln geschlossen hat.

Nicht nur das auf dem Grabtuch befindliche Blut Christi, sondern auch das Doppelbildnis der Sindone erinnert an den Neuen Bund Gottes mit dem Menschen, so wie es die Wandlungsworte Jesu „Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ ausdrücken.

Der ausgeblutete Leichnam des Grabtuches ist das makellose, geschlachtete Opfer des Neuen Bundes, der „talia” (auch hier ist eine zweifache Bedeutung zu vermerken, nämlich „Gottesknecht“ und „Gotteslamm“). Der Neue Bund also, der durch Gottes Erbarmen schon den Propheten verheißen (vgl. Jer 31,31ff; Ez 36,25ff) und mit dem Blut Jesu geschlossen wurde.

So wie es Maria in ihrem Lobgesang, dem Magnificat, besingt:

„Er hat sich seines Knechtes Israel angenommen, eingedenk seiner Barmherzigkeit, wie er den Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“ (Lk 1,54f) Oder wie es Zacharias bei der Geburt seines Sohnes ausspricht: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen. Er hat uns einen starken Retter erweckt im Hause seines Knechtes David. So hat er verheißen von alters her durch den Mund seiner heiligen Propheten. Er hat uns errettet vor unseren Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen. Er hat das Erbarmen mit den Vätern an uns vollendet und an seinen heiligen Bund gedacht, an den Eid, den er unserem Vater Abraham geschworen hat.“ (Lk 1,70ff)

5. Das Grabtuch als wertvolles Mittel zur Neuevangelisierung

Vom Magnificat wendet sich der Blick zur Madonna, denn auch sie hat uns ein Bild hinterlassen, das nicht von Menschenhand gemacht ist, in anderen Worten ein „acheiropoieton“. Es handelt sich um das Bild der Madonna von Guadalupe.

Zur Wintersonnenwende 1531, in einem Augenblick größter kollektiver Depression der Azteken, erweist sich Maria als die Mutter Gottes und als vollkommene Jungfrau (als Immaculata) die den Azteken die wahre Sonne, den wahren Gott, Jesus Christus, bringt. Indem sie ihr Bild auf der Tilma, dem Mantel des Sehers Juan Diego, hinterlässt, verwendet Maria Elemente der zerstörten aztekischen Kultur. Sie zeigt den Azteken, dass Christus, den sie in ihrem Schoss trägt und der durch die Flor solar auf ihrem Leib versinnbildlicht ist, der einzige und wahre Gott ist. Dieses Bild, das für die Azteken eine Art Kodex bedeutete, machte auf diese einen solchen Eindruck, dass sie sofort die an sie gerichtete Botschaft verstanden.

Dank dieses wunderbaren Bildes bekehrten sich acht bis neun Millionen Azteken in kürzester Zeit zum Christentum. Es läutete die Geburtsstunde des mexikanischen Volkes ein, denn nach diesem außergewöhnlichen Ereignis verschmolzen die beiden Todfeinde, Azteken und Spanier, zu einem einzigen Volk.

Wer weiß, wie viele Menschen sich zum Christentum bekehren könnten, wenn das Grabtuch von Turin eines Tages als wahres Leichentuch von der Kirche anerkannt werden würde. Vielleicht würde diese Anerkennung eine ähnliche Wirkung wie das Bild von Guadalupe hervorrufen?

Heute leben wir in einer Kultur der Bilder. Daher ist auch das Grabtuch von Turin ein wertvolles Hilfsmittel bei der Neuevangelisierung bzw. beim interreligiösen Dialog. Warum?

Weil sich heute die Worte Nathans des Weisen - von Gotthold Ephraim Lessing - zu verwirklichen scheinen, dass alle Religionen, speziell die drei monotheistischen Religionen, austauschbare Wege zu Gott seien, so dass man sich selbst in der Kirche gar nicht mehr sicher ist, welches die wahre Gottesverehrung ist.

Hier zeigt aber das Grabtuch von Turin klar auf, dass die Evangelien nicht verfälscht worden sind und dass die in ihnen überlieferten Ereignisse echten historischen Wert besitzen.

Die Sindone kann also mithelfen, dass einer, der Gott sucht, den wahren Glauben findet. Oder dass einer, der schon das Geschenk des Glaubens besitzt, noch tiefer in die Kontemplation geführt wird und eine immer innigere Christusbeziehung erfährt.

Die katholische Kirche zwingt uns die Verehrung des Grabtuches nicht auf. Aber wenn es echt ist, dann erhellt es auf einzigartige Weise die christologischen Dogmen.

Bild und Blut der Sindone zeigen uns gleichsam den konkreten Beweis der unendlichen göttlichen Liebe des Vaters, wie es bei Joh 3,16 steht: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn hingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“

 

Anmerkungen

[13] Sure 4, V.156: “Sie sagten: Siehe, wir haben den Messias Jesus, den Sohn der Maria, den Gesandten Allahs, ermordet – doch ermordeten sie ihn nicht und kreuzigten ihn nicht, sondern einen ihm ähnlichen.“

[14] Sepher Jesirah, berühmter Teil aus dem „Sohar“. Das Buch Sohar ist das rätselhafteste und zugleich das wichtigste Buch der Weisheit der Kabbala. Dieses Buch ist Ende des XIII. Jahrhunderts in Spanien aufgetaucht und wird neben der Bibel und dem Talmud als Autorität angesehen. Buch der Schöpfung in: Wilhelm Kurt: Jüdischer Glaube, eine Auswahl aus zwei Jahrtausenden, Verlag Schibli Doppler, Basel, p. 228