Das Leben in der Gegenwart Gottes
Von Pater Severin Zahner
Kinder machen sich keine Sorgen um die Zukunft, analysieren auch nicht ihre Vergangenheit, sondern leben im Hier und Jetzt. Doch leben Kinder nicht nur in der Gegenwart, sondern sie versichern sich auch immer wieder der Gegenwart ihrer Eltern. So geben Kleinkinder in der Stunde bis zu 50 Signale (Laute etc.) von sich, auf welche sie eine Antwort erwarten.
Als Erwachsene brauchen wir nicht mehr die Gegenwart unserer Eltern, um uns geborgen zu fühlen, da wir nicht mehr von ihnen abhängig sind. Doch sind wir in einer noch viel grundlegenderen Weise von Gott abhängig. Ohne seine Erhaltung im Dasein würden wir sofort ins Nichts zurückfallen. Für jede Tätigkeit, selbst für das Fassen eines Gedankens, brauchen wir seine Mitwirkung. Würden wir uns immer wieder der Gegenwart Gottes bewusst machen, würden wir ganz anders durch das Leben gehen. Wie das unsicher gebundene Kind, wird auch der Mensch ohne diese tiefe Beziehung zu Gott mit weniger Zuversicht, Sicherheit, Vertrauen und Freude leben. Darum lohnt es sich – wie die Kleinkinder zu ihren Eltern – immer wieder mit Gott Kontakt aufzunehmen, um uns seiner liebenden Gegenwart zu versichern.
Was? – Grundlage und Beschreibung des Lebens in Gottes Gegenwart
Unser Gott ist zwar ein verborgener Gott (Is 45,15), doch kein ferner Gott, „denn in IHM leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,28). Die Allgegenwart unseres Gottes ist eine seiner faszinierenden Eigenschaften. Papst Gregor der Große führt aus, dass Gott nicht nur durch sein Wissen und seine Macht an jedem Ort ist, sondern auch mit seiner ganzen Wesenheit. „Ubique totus“, so formuliert es der hl. Augustinus immer wieder: „Überall ganz“ ist Gott gegenwärtig.
Wir sind berufen zu diesem ganz gegenwärtigen Gott in Beziehung zu treten. Er hat in uns seine Wohnung aufgeschlagen (Joh 14,23), damit wir dort mit ihm leben, als unserem Vater, Erlöser, Bräutigam, Freund und Richter. Das war das Verlangen aller Heiligen, darin fanden sie ihr Glück. So schreibt z.B. die hl. Elisabeth von Dijon: „Meine einzige Übung besteht darin, in mein Inneres einzukehren und mich in diejenigen zu verlieren, die dort sind.“
Dieser liebende Kontakt mit Gott soll nicht auf die Zeiten beschränkt sein, die wir exklusiv für das Gebet reservieren, sondern er soll sich durch unser Tagewerk hindurchziehen. Sobald unser Geist frei ist, soll er sich immer wieder der Gegenwart Gottes bewusstwerden, um in IHM Trost und Geborgenheit zu finden, um seine Liebe zu verkosten, um IHN zu loben, zu danken, sich IHM zu schenken und unsere Anliegen vor IHN zu bringen.
Dies nennt man den Wandel in Gottes Gegenwart, für welchen es auch andere Ausdrücke gibt: Herzensgebet, Gottverbundenheit, immerwährendes Gebet, Innerlichkeit, stille Unterhaltung mit Gott.
Wozu? – Die vielen Vorteile, die uns motivieren sollen
Drei Vorteile des Wandels in Gottes Gegenwart“ sollen hier näher erläutert werden:
Mächtiger Schutz gegen die Sünde
Ein Kind, das um die Gegenwart seiner Mutter weiß, wird der Versuchung zum Naschen einfach widerstehen können. Auch der Blick von Mitmenschen führt dazu, dass wir uns von der besten Seite zeigen. Was für Folgen hätte es, wenn wir uns mehr bewusst wären, dass Gott Vater immer gegenwärtig ist, dass der gerechte und uns liebende Gott uns beständig sieht. Würden wir dann nicht mehr von der Sünde abgeschreckt werden? Die hl. Theresia von Avila schreibt folgendes dazu: „Hätte ich es gleich verstanden, wie ich es jetzt verstehe, dass ein so großer König diesen kleinen Palast meiner Seele bewohnt, so will mir scheinen, dass ich ihn nicht so oft alleine gelassen hätte. Wenigstens manchmal hätte ich mich in seiner Gegenwart aufgehalten, und vor allem hätte ich darauf geachtet, dass mein Palast weniger schmutzig ist.“ (Weg der Vollkommenheit)
Förderung und Heiligung der Arbeit
Wird man nicht durch das Denken an die Gegenwart Gottes von der Arbeit abgehalten? So könnte man einwenden, doch das Gegenteil ist der Fall. Der Staatssekretär des hl. Pius X., Kardinal Merry Del Val, nahm sich vor, keine Arbeit zu beginnen, ohne sich der Gegenwart Gottes bewusst zu machen und die Arbeit für IHN und in SEINER Gegenwart zu verrichten. Es liegt auf der Hand, dass, wer Gott liebt und mit dieser Gesinnung und reinen Absicht zu arbeiten beginnt, bessere Arbeit leisten wird. Er wird mehr Disziplin an den Tag legen, sich weniger ablenken lassen etc.
Vermehrung der Gottesliebe
Je mehr wir an den gegenwärtigen Gott denken, desto mehr wird Gott zum Zentrum unseres Lebens. Wir kreisen dann weniger um uns und unsere Sorgen, sondern immer mehr um IHN. So werden wir bei Gott Ruhe und Frieden finden. Auch wird das Leben in seiner Gegenwart unser ganzes Dasein mit Freude erfüllen. In diesem Leben mit Gott fand die hl. Elisabeth von Dijon ihren Himmel auf Erden.
Durch das Verkosten dieser Liebe Gottes, werden wir zur Gegenliebe angeeifert. Doch wie schaffen wir es, unseren Gott, der in uns wohnt, weniger alleine zu lassen?
Wie? – Eine ganz konkrete Methode, um Fortschritte zu machen
Drei „Tipps“ möchte ich Ihnen mitgeben, um immer mehr in der Gegenwart Gottes zu wandeln.
Durch das Sichtbare zum Unsichtbaren
Wir vergessen so schnell die übernatürliche und eigentliche Wirklichkeit, da unsere Sinne diese nicht wahrnehmen können. Doch wenn wir es schaffen, im Alltag Dinge als Auslösereize einzusetzen, die uns an Gottes Gegenwart erinnern, werden sich unsere Gedanken an Gott von alleine vermehren. Es geht darum, neue Gewohnheiten aufzubauen nach dem Prinzip: „Wenn Situation X eintritt, dann möchte ich an Gottes Gegenwart denken.“ Situation X kann ein Zeichen, ein Ort, eine Handlung oder auch eine Widerwärtigkeit sein. Verdeutlichen wir das Prinzip an nachfolgenden Beispielen:
Ein Zeichen: Ein Kreuz, eine Statue oder ein Bild am Arbeitsplatz kann uns helfen, an die übernatürliche Realität Gottes erinnert zu werden.
Die Natur: Wenn wir eine herrliche Landschaft oder einen klaren Sternenhimmel sehen, dann können wir lernen, hinter diesen Herrlichkeiten immer wieder den allmächtigen Gott zu sehen.
Handlungen: Woran denken wir, wenn wir unser Bett machen? Warum nicht diese Handlung gewohnheitsmäßig mit dem Gedanken an Gottes Gegenwart verknüpfen? Andere Handlungen können sein: Griff nach dem Smartphone, Verlassen oder Betreten des Hauses, Hinaufsteigen einer Treppe usw.
Widerwärtigkeiten: Das funktioniert besonders gut. Jedes Mal, wenn unser Rücken schmerzt oder uns sonst etwas stört, sollen wir uns nicht aufregen, sondern dies als Auslösereiz nutzen, um in eine Unterhaltung mit IHM zu treten.
Den Gedanken an Gottes Gegenwart mit einer Eigenschaft Gottes verbinden
Wenn wir nicht nur denken, dass Gott gegenwärtig ist, sondern dass der mich liebende Gott gegenwärtig ist, der fürsorgende Vater, der mich sehende Hirte usw., dann wird dieser Gedanke unser inneres Leben stärker befruchten und mehr bereichern.
Mit dem Gedanken an Gottes Gegenwart ein Zwiegespräch verknüpfen
Angenommen, sie haben sich vorgenommen, jedes Mal wenn sie die Sonne sehen, an Gottes liebende Gegenwart zu denken, dann können sie folgendes Stoßgebet in dieser Situation beten: „Herr erleuchte mich, führe meine Wege.“