Buchbesprechung: Religion und Naturwissenschaft. Wege zur Versöhnung
Sedi Sapientiae, Reginae coeli et terrae, Matri universae, dem Sitz der Weisheit, der Königin des Himmels und der Erde, der Mutter des Universums, liegt eine wichtige Neuerscheinung zu Füßen.
Wesentlich kann sie zur Gesundung philosophischen Denkens über Religion und Naturwissenschaft beitragen, deren unsere geistig gebrochene Zeit bedarf. Auf seine Weise und in bestimmter Stoßrichtung fördert der Autor, Pater Paul Robinson FSSPX, Ihr Diener und Sohn, mit seinem Buch den verheißenen Triumph Ihres Unbefleckten Herzens:
Pater Paul Robinson (FSSPX)
The Realist Guide to Religion and Science
Gracewing, Leominster (United Kingdom) 2018
526 Seiten, 35 US-Dollar / 25 Britische Pfund
ISBN 978 085244 922 6.
Welcher Lohn erwartet den Leser? Auch für Nichtmuttersprachler klar und verständlich, setzt Pater Robinson zwar kein besonderes Vorwissen voraus, fordert aber geduldiges Nachziehen der Gedankenlinien von der ersten bis zur letzten Seite – kein Buch für page hoppers! Als Frucht belohnt den Leser ein einheitlicher, vereinheitlichender und zugleich beglückender Blick auf das Universum im Ganzen. Intellektuell befriedigend und gedanklich kohärent leben darin religiöses und naturwissenschaftliches Denken in Harmonie, ohne sich auszuschließen, sondern einander bekräftigend.
Aber kann es denn nach all den geistigen Umbrüchen der Neuzeit und Moderne eine derartige Integrität der menschlichen Vernunft überhaupt noch geben, eine Weisheit, der auch die höchsten Gegenstände in den Blick gelangen und in deren Licht alle anderen Dinge zu leuchten beginnen? Ja – argumentiert Pater Robinson. Jede andere Antwort sei logisch inkonsistent und führe letztlich zur Verzweiflung. Nur der Realist sei ein Optimist.
Nach seinem Studium der Ingenieurwissenschaften, Mathematik und Informatik an der Universität von Louisville in Kentucky, U.S.A., das er als Master abschließt, wirkte Pater Robinson zwei Jahre in seinem Beruf, bevor er in das US-amerikanische Seminar der Priesterbruderschaft St. Pius X. eintrat. Seit seiner Priesterweihe im Jahr 2006 lehrt er Thomistische Philosophie und Theologie, zurzeit am australischen Priesterseminar Holy Cross.
Sein geistiger Weg von der intellektuellen Zucht der MINT-Fächer, in denen „richtig“ und „falsch“ unerbittlich gilt, durch die Schule klassisch-abendländischen und kirchlichen Denkens ließ in Pater Robinson philosophischen Realismus als Mentalität, als geistige Lebensform, reifen. Dem Referenten wurde die Freude zuteil, diesen herzlich liebenswerten, demütig frommen und von innerlichem Leben geprägten Priester persönlich kennenlernen zu können.
Realismus als Mentalität bezeichnet eine geistige Grundhaltung, in der Menschen etwas Verlässliches wissen und sich selbst gültig zur Wirklichkeit in Beziehung setzen. Warum ist diese Haltung nicht mehr selbstverständlich? Es liege am Missbrauch des freien Willens, der sich andere Mentalitäten suche, zeigt Pater Robinson. In letzter Konsequenz werde dadurch die eingeborene Fähigkeit eingeschränkt, die Welt wahrzunehmen, wie sie wirklich ist – das Auge der Vernunft verdunkelt, die Wahrnehmung verwischt.
Wenn aber die Vernunft irregeht, der Wille keine menschengemäße Mentalität wählt, treten auch das Denken über die Gegenstände des Glaubens und die Fakten der Naturwissenschaft auseinander. Die scheinbare Unvereinbarkeit von Religion und Naturwissenschaft, die „westliches“ Denken seit der Neuzeit kennzeichnet, hat nach Pater Robinson ihre Ursache nicht so sehr darin, dass beide Denkformen miteinander unvereinbar wären, sondern dass die eine oder die andere oder beide mit der Wirklichkeit unvereinbar sind. Er sucht Religion und Naturwissenschaft miteinander zu versöhnen, aber nicht durch Religion oder durch Naturwissenschaft. Sein Ziel ist vielmehr, die menschliche Vernunft mit der Wirklichkeit zu versöhnen.
Wenn es einen einzigen Ursprung des gesamten Universums gibt, wie die realistische Betrachtungsweise nahelegt, ist die Wirklichkeit ein einziges Ganzes. Und wenn jener eine Ursprung dem Menschen die Fähigkeit gab, die Wirklichkeit wahrzunehmen, dann gibt es keinen Grund, warum sich seine Wahrnehmung nicht ebenfalls auf das eine Ganze richtet. Geistiger Erkenntnis fähig zu sein, heiße angesichts und inmitten der Gesamtwirklichkeit zu leben, sagt Josef Pieper. Der geschaffene Geist sei „capax universi, auf das Ganze der Wahrheit angelegt“ (Die Wahrheit der Dinge, 1947).
In seinem Büchlein Unaustrinkbares Licht (1953) spricht Pieper von dem Neuland, das heute auf Eroberung warte, „man mag vielleicht genauer sagen, das schon eroberte Land, das endlich für die philosophische Weltdeutung in Besitz und Nutzung zu nehmen wäre“. Es habe eine geradezu unübersehbare Erstreckung. Welches Land? „Es ist erstens die von Physik und Biologie erschlossene Weltregion“.
Pater Robinsons Buch ist ein Reiseführer in dieses auf seine geistige Besiedlung wartende Land: The Realist Guide to Religion and Science. Mit intelligentem Augenzwinkern spielt es zugleich auf einen Kultroman der MINT Community an, Douglas N. Adams’ satirischen Science Fiction The Hitchhiker's Guide to the Galaxy (1979, dt. Per Anhalter durch die Galaxis).
Im ersten Teil REASON, Vernunft, blickt Pater Robinson als Realist auf die Realität. Anhand des heidnischen Pantheismus, der katholischen Schöpfungslehre, des muslimischen Monotheismus und des protestantischen Biblizismus zeigt der zweite Teil RELIGION, wie sehr Religion vernünftig ist, solange sie realistisch bleibt, aber unvernünftig wird, sobald sie sich von der Realität abwendet. Gleiches gilt für die Deutung naturwissenschaftlicher Fakten, das Thema des dritten Teils SCIENCE, Naturwissenschaft.
Für Leser aus MINT-Berufen ist der erste Teil besonders lehrreich. Knapp und präzise ruft Pater Robinson die drei Zeugen der Wirklichkeit auf, die Sinne, von denen alles Wissen um das Besondere ausgeht, die Vernunft, um Universelles zu erkennen, und die Autorität, die alles Wissen ergänzt – denn alles Wissen bedarf des Vertrauens. Aus dem Grundsatz, Wissenschaft sei sicheres Wissen durch Einsicht in die Ursachen, führt er sodann in die Lehre von den vier Aspekten der Kausalität ein, den materiellen, formalen, wirkenden und finalen Ursachen. Ein Umriss der drei Weisen des Wissens, Science, Philosophy, Religion, beschließt diese kompakte Einführung in realistisches Denken.
Der zweite Teil bietet insbesondere Einsichten in die gedankliche Struktur des fundamentalistischen Islam und Protestantismus, die Fr. Robinson dem ausgewogenen Charakter der katholischen Schöpfungslehre entgegenstellt. Sie sind gerade in den aktuellen Debatten wertvoll.
Der Zeitgeist ist von populären Darstellungen der physikalischen Kosmologie und Evolutionsbiologie geprägt, in denen sich naturwissenschaftliche Fakten mit weltanschaulich aufgeladenen Deutungen vermischen. Meist wenden sie sich gegen den christlichen Glauben. Vor diesem Hintergrund erhält der dritte Teil des Buches, der vielleicht noch etwas schärfer zwischen den naturwissenschaftlich gesicherten Fakten und ihrer Deutung unterscheiden müsste, besonderes Gewicht.
Pater Robinson beschreibt ein Kernproblem, wenn er einen Ausspruch Albert Einsteins voranstellt: „Der Mann der Wissenschaft ist ein armer Philosoph“. Das erste der vier Kapitel dieses Teils analysiert kritisch die Entwicklung naturphilosophischen Denkens vom späten Mittelalter bis in die Neuzeit. Dem Leser wird bewusst, wie sehr das Fortschreiten zu immer bedeutenderen naturwissenschaftlichen Entdeckungen mit einem fortschreitenden Zerfall des philosophischen Denkens verbunden war.
Inhaltlich bewerten kann der Referent das Kapitel über physikalische Kosmologie, ausgehend von Einstein, Hubble und Lemaître, das er für überzeugend, gründlich und absolut seriös hält. Auch für Laien nachvollziehbar ist die Darstellung des Universums in seiner höchst spezifischen Eigenart, die allein seine „Bewohnbarkeit“ durch lebendige Wesen ermöglicht (Stichwort: Feinabstimmung). Scharfsinnig widerlegt Pater Robinson dagegen experimentell prinzipiell nicht falsifizierbare Kosmologien (Stichwort: Multiversen), die auch unter Physikern hoch umstritten sind, weil sie aufhören, Naturwissenschaft zu sein.
Ganz im Geiste Pius’ XII. und seiner Enzyklika Humani generis (1950) stellen die beiden biologischen Kapitel über die Entstehung des Lebens und die Evolution einerseits gesichertes Faktenmaterial bereit. Andererseits belegen sie die innere Widersprüchlichkeit „biologistischer“ Ideologien, die sich mit Namen wie Francis Crick, Richard Dawkins und Charles Darwin verbinden. Offenbar kann ein und die dieselbe Person wichtige biologische Erkenntnisse gewinnen und zugleich biologistisch irren. Pater Robinsons Argumentation leuchtet. Allerdings wäre eine fachwissenschaftlich ausgewiesene Einschätzung wertvoll. Teilhard de Chardin ist für Pater Robinson kein Thema. Seine realistischen Prinzipien können sich jedoch in der Auseinandersetzung um seine von vatikanischen Kreise betriebene „Rehabilitation“ bewähren.
Zugleich hat Pater Robinsons Reiseführer aber auch einen zutiefst missionarischen Impuls. Möge er vor allem der MINT Community wieder Wege zum Glauben weisen und die Liebe zur Königin des Himmels und der Erde und der Mutter des Universums entzünden!
Rezension von Wolfgang Koch