Betrachtungen in der Fastenzeit: Judas, Teil 3

Detail vom Fastentuch in der Stiftskirche Millstatt, Kärnten
Wenn einmal das Wasser nahe an einem Strudel ist, so gerät es in rasche Bewegung und bald ist es hinabgewirbelt. So auch bei Judas. Es geht schnell mit ihm abwärts, als er hört, dass Jesus zum Tode verurteilt sei. Welcher Wirbeltanz der schrecklichsten Gedanken drinnen in seinem Gewissen! - Unseliger, was hast du getan! so rief sein Gewissen. Vor ihm stand in Gedanken sein göttlicher Herr und Meister, voll Hoheit, Würde und Unschuld und diesen konntest du verraten, du gemeine Seele! So mag er zu sich selbst gesprochen haben. Die schreckliche Unruhe treibt ihn zu den Hohepriestern und er sagt ihnen: „Ich habe gesündigt, indem ich unschuldiges Blut verraten habe.“ „Was geht das uns an, stehe du zu,“ schallt es ihm kalt entgegen (Mt 27,4).
Diese Antwort treibt den Judas in die Verzweiflung, in eine stockfinstere Nacht ohne Lichtschimmer, ohne Hoffnungsstrahl. „Siehe du zu!“ Es wäre noch Zeit gewesen, zuzusehen. Judas hätte sich zu den Füßen Jesu niederwerfen und Verzeihung finden können; wie gerne sähen wir das Bild eines voll Reue und Hoffnung am Kreuze niedergesunkenen Judas - aber in der Leidensgeschichte Jesu gibt es wohl einen reuigen Petrus, einen reuigen Schächer; einen wahrhaft reuigen Judas gibt es nicht. Seine Reue enthielt bloß Furcht, aber keine Hoffnung, sagt der hl. Thomas von Aquin". Die Verzweiflung schlägt ihre Krallen tief hinein in sein Inneres und bohrt sich hinein bis ins Innerste- sie jagt ihn in den Tempel, wo er eilends die Geldstücke hinwirft auf den Boden; sie jagt ihn hinaus vor die Stadt. Dort steht ein Baum ... Doch ihr wisst, Geliebte, wie Judas aus der Welt gegangen ist (Mt 27, 5). Es ist schauerlich. Betrachtet den Apostel, wie er dahängt, wie er zu Boden stürzt und die Eingeweide bersten (Apg. 1, 18)! Und schaut nur seiner Seele nach, wie sie hintritt vor den Richter, wie sie bebend und zitternd dasteht, gleichsam zusammenbrechend unter der Last ihrer fürchterlichen Sünde! Betrachtet schaudernd, wie der Richter diese verfluchte Seele von sich schleudert, weit, weit hinaus in die ewige Nacht, zu tiefst hinein in den Abgrund! Jetzt ist er, was ihn wenige Tage zuvor der Heiland genannt hatte: „Sohn des Verderbens“ (Joh. 17, 12), jetzt „ist er verloren“, verloren als der einzige aus der Apostelschar! — Geliebte im Herrn! Den Judas mit seinem schrecklichen Ende hat Gott hingestellt vor die ganze Welt, damit alle die Millionen Christen, die da pilgern auf der Heerstraße des irdischen Lebens, nach ihm blicken und von seinem Unglücke lernen. Aber lernen wirklich alle? Wie die Judassünde, so wiederholt sich auch unter den Menschen das Judasende.
Wie oft kommt auch heute noch nach der Sünde die Verzweiflung! Vor der Sünde freuten den Judas seine Silberlinge; nach der Sünde warf er sie weg, sie brannten ihm in den Händen; sein Geld, das war jetzt sein Quäler und Henker geworden. Vor der Sünde malt der Teufel ihre Genüsse aufs Schönste aus; nach der Sünde lässt er die Maske von der Sünde fallen. Vor der Sünde haben die Genossen und Verführer die schönsten und süßesten Worte; nach der Sünde wollen sie nichts mehr von ihrem Opfer wissen. Wie manches Mädchen, das ihre Unschuld geopfert und ihrem Verführer es geklagt hat, erhielt die schneidend kalte Antwort: Was geht das mich an, siehe du zu! Wie viele nehmen ein trostlos zuckendes Herz mit sich als einzigen Gewinn und Erwerb von ihrer Sünde, nachdem sie den Heiland um der Habsucht oder Fleischeslust oder Hoffart willen verraten haben! Und wisst ihr, wer in diese trostlose Leere des Herzens einzudringen sucht? Das ist der Versucher und die Hölle! Und was er oftmals solch einer verzweifelten Seele in die Ohren raunt? „Bring dich um, bring dich um“ leise und dann immer lauter! Und wie oft ist das Ende dieser Einflüsterungen ein Sprung ins Wasser oder ein Schuss oder ein Strick um den Hals wie bei Judas! Siehe da, der letzte Stoß, den Satan hohnlachend dem Menschen gibt, damit er vollends hinabtaumle!
Geliebte, wenn so viele von dem schrecklichen Ende des Judas nichts lernen für ihr eigenes Heil, so wollen wir weiser sein. Wir wollen „unser Heil in Furcht und Zittern wirken“ (Phil 2, 12). Wir kennen ja unser schwaches wankelmütiges Herz; wir wissen, dass niemand sicher ist, ob er nicht übel ende. Wenn ein Luzifer vom Himmel fiel, ein Adam im Paradiese, ein Judas in der Schule Christi, wer sollte dann nicht zittern! Blicke zum letztenmal hin auf den unglücklichen Apostel; überdenke nochmals alles, seinen guten Anfang, sein allmähliches Sinken, seinen tiefen Fall, sein unseliges Ende, seine ewige Verdammnis; blicke hin auf diesen Sohn des Verderbens und die namenlose, wahnsinnige Torheit seines Verrates und dann kniee im Geiste vor unserem Herrn Jesus Christus nieder, versprich Ihm ewige Treue und bitte ihn flehentlich um die Gnade der Beharrlichkeit! Wenn es sich darum handelt, entweder mit Christus zu herrschen, oder mit Judas die Gesellschaft der Hölle zu teilen, nicht wahr, mein Christ, so weißt du, was du zu wählen hast. Willst du etwa ein Überläufer werden zu Satan; willst du einmal mit Gewalt die Höllentüre aufstoßen und freiwillig hineinstürmen durch die finstere Pforte, wie Judas und so viele nach ihm? Oder willst du nicht vielmehr es mit den treugebliebenen Jüngern halten, ein Sohn, eine Tochter des Lichtes (Joh 12, 36), ein Kind der Gnade sein? Ja, das will ich. Und weil ich das will, so will ich mein Leben lang nicht lassen von Jesus Christus, Seiner heiligsten Mutter, Seiner Kirche, Seinen Gnaden, seinen Sakramenten, Seinen Geboten! Mit einem Worte: ich will Christ sein, nicht bloß dem Namen nach, sondern in der Wahrheit. So will ich leben, so will ich sterben in Gnade und Treue! Mit Recht soll dann der Priester bei den Sterbegebeten über mich beten können: „Und hat er auch oft gesündigt, so hat er doch den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist nicht verleugnet.“ Und bin ich dann tot, so gebt mir das Kruzifiz in die Hände und dann macht den Sarg in Gottes Namen zu und begrabt mich im Frieden! Ich hoffe dann am Tage des Gerichtes mit den treugebliebenen Aposteln und den Martyrern und allen Heiligen zur Rechten Christi zu stehen. Amen.