Berufungen in einer entchristlichten Welt
Ein Gespräch mit Pater Benedikt Roder
Hochwürdiger Herr Pater Roder, während die westlichen Länder sich immer stärker entchristlichen, bleiben die Eintrittszahlen in die Seminare der Priesterbruderschaft St. Pius X. auf hohem Niveau, beziehungsweise steigen mitunter sogar. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Gott erwählt auch heute, in einer immer mehr entchristlichten westlichen Welt und ganz allgemein auch in schwierigen Zeiten junge Männer, die zum Priestertum berufen sind und die erkennen, dass es nichts Größeres und Schöneres gibt, als unserem Herrn zu folgen. Junge Menschen suchen nach einem wahren Ideal im Leben, nach etwas, wofür es sich wirklich lohnt zu leben. Auf Seiten der Priesterbruderschaft St. Pius X. entspricht diesem Verlangen die Vermittlung des authentischen priesterlichen Geistes. Das Ideal der Priesterbruderschaft ist es ja, das Priestertum unseres Herrn Jesus Christus weiterzugeben „in der ungetrübten Reinheit der Lehre und seiner grenzenlosen missionarischen Liebe“ (Erzbischof Lefebvre, Geistlicher Wegweiser). So, wie es die Kirche 2000 Jahre hindurch getan hat. Und das spricht die Berufenen an.
Zum Beginn dieses Studienjahres haben Sie den neuen Anbau, das Wolfgangianum, in Zaitzkofen eingeweiht. Was hat diesen Neubau notwendig gemacht?
In den vergangenen Jahren hatten wir sehr starke Eintrittsjahrgänge. Dadurch wurde es immer enger. Letzten Sommer mussten wir schon die Kapelle umbauen. Die Seminaristen hatten auch aus Platzgründen mitunter die Zimmer zu teilen. So ist eine Erweiterung dringend notwendig geworden. Wir sind deshalb sehr dankbar, dass der Anbau jetzt kurz nach Beginn des neuen Studienjahres bezugsfertig geworden ist.
Wie viele Seminaristen leben denn aktuell in Zaitzkofen?
Im Moment sind es 53 Seminaristen. Dazu kommen noch die Brüder und Novizen.
Ins Internationale Priesterseminar Herz Jesu in Zaitzkofen sind dieses Studienjahr erneut 12 junge Männer eingetreten. Warum entscheiden sich die Kandidaten für ein Seminar der Tradition und nicht für ein Diözesanseminar?
Wer eine Berufung verspürt, sucht nach dem wahren priesterlichen Ideal. In den Diözesanseminaren werden fast flächendeckend grundlegende Wahrheiten in Bezug auf das katholische Priestertum in Zweifel gezogen oder umgedeutet. Schon in den siebziger Jahren stellte der damalige Kardinal von Cincinnati gegenüber Rom fest, warum die Berufungen zurückgehen: weil die Kirche nicht mehr weiß, was ein Priester ist. Wie kann sie also noch Priester ausbilden, wenn sie nicht mehr weiß, was ein Priester ist? Selbst viele der modernen Priester wissen nicht mehr, dass sie da sind, um zum Altar emporzusteigen, um das Opfer unseres Herrn Jesus Christus darzubringen und um unseren Herrn Jesus Christus den Seelen zu spenden und die Seelen zu Jesus Christus zu rufen. Das ist ein Priester! Und die jungen Seminaristen, die hierherkommen, verstehen das. Ihr ganzes Leben wird dem geweiht sein: zu lieben, anzubeten, unserem Herrn Jesus Christus in der allerheiligsten Eucharistie zu dienen, weil sie an seine wirkliche Anwesenheit in der allerheiligsten Eucharistie glauben. Das ist ganz sicher der Grund, warum sich viele junge Männer für ein Seminar der Tradition entscheiden.
Welchen Auftrag haben die Priesteramtskandidaten durch die Situation, dass immer weniger Priester in den Diözesen geweiht werden?
Sie haben dadurch eine besondere Aufgabe für die Kirche. Einmal durch ihr gutes Beispiel, indem sie vermitteln, worin das wirkliche Priestertum besteht. Die Priester, die ihr Priestertum leben wollen, sind sehr dankbar für diese Bestärkung. Durch Besuche und Kontakte zu unseren Seminaristen schöpfen sie neuen Mut und Zuversicht. Dann aber wird ihr Auftrag später insbesondere auch darin bestehen, Berufungen zu bestärken und junge Menschen zu begeistern. So werden sie mitarbeiten an einer inneren Erneuerung der Kirche.
Was erwartet junge Männer im Seminar?
Als erstes eine schöne, heitere und gute Atmosphäre. Hier sind so viele junge Männer, die alle nach demselben Ziel, nach dem gleichen Ideal streben. Das schafft eine ganz wunderbare Gemeinschaft. Sie ist vom Tagesablauf klösterlich organisiert mit Zeiten des Gebetes, des Studiums und der Stille, aber auch Zeiten gemeinsamen Spiels und der Erholung. Viele haben hier die Exerzitien gemacht und dann festgestellt, dass Gott sie berufen hat.
Manche sagen, dass an sich jeder Mensch berufen sei. Ist das so? Und zu welcher Zeit prüft man seinen Lebensweg am besten und wo?
Dass jeder Mensch berufen sei, das stimmt nur in Bezug auf die allgemeine Berufung, nach Heiligkeit zu streben. Das ist nämlich die Aufgabe jedes Menschen. Aber nicht jeder ist zum Ordensstand oder Priestertum berufen. Das ist eine besondere Berufung, die hinzukommt. Wo prüft man das am besten? Jeder junge Mensch sollte sich, noch bevor er ernsthafte Entscheidungen für sein Leben fällt, die Frage vorlegen, ob Gott ihn zu einem vollkommeneren Leben ruft. In der Regel ist es so, besonders, wenn das christliche Ideal ernsthaft verfolgt wird, dass der liebe Gott es einem nach und nach zeigt, ob eine Berufung vorhanden ist. Ein guter Zeitpunkt wäre, noch bevor man eine höhere Schule beendet hat, einmal die Exerzitien zu machen. Dort klärt sich oft sehr viel. Ein weiteres ganz wichtiges Mittel, um zur richtigen Wahl zu gelangen, ist ein persönlicher Beichtvater. Da er einen kennt, wird er auf dem Weg begleiten und helfen können. Wenn das Genannte vorangegangen ist, ist ein Besuch in Zaitzkofen sehr hilfreich. Junge Männer sind hier jederzeit eingeladen, ganz unverbindlich für eine Woche vorbeizuschauen. Und noch ein ganz wichtiger Punkt: man braucht keine absolute Sicherheit, um sich für einen Eintritt ins Seminar zu entscheiden. Das Seminar ist gerade auch dazu da, die eigene Berufung noch prüfen zu können. Wenn die Voraussetzungen für das Priestertum sowie die richtige Motivation vorhanden sind, steht einem Eintritt nichts im Weg.
Welche priesterlichen Lebenswege gibt es? Und wie groß ist der eigene Einfluss, den man darauf hat?
In der Kirche gab es immer ganz verschiedene Formen von priesterlichen Lebenswegen. Priester, die in der Seelsorge tätig waren, oder auch welche, die sich besonderen Apostolaten gewidmet haben, etwa in Krankenhäusern oder in Schulen. Es gibt den Ordensklerus sowie den Weltklerus. In der Priesterbruderschaft haben wir eine Situation, die für die heutigen Umstände wirklich optimal ist. Wir sind zwar kein Orden mit Gelübden, aber haben doch ein Gemeinschaftsleben nach dem Vorbild der Missionsgesellschaften, wie es unser Gründer wollte. Dadurch haben wir auch eine sehr reiche Bandbreite des priesterlichen Wirkens. Wir haben Priester, die je nach Talenten in Schulen wirken oder eine pfarrliche Seelsorge ausüben oder andere, denen besondere Apostolate wie zum Beispiel das Exerzitienwerk anvertraut sind sowie auch zahlreiche Missionare in den ursprünglichen Missionsländern. Der eigene Einfluss darauf ist insofern begrenzt, als man sich als Priester ganz dem Willen der Vorsehung Gottes zur Verfügung stellt, der durch die Entscheidungen der kirchlichen Oberen zum Ausdruck kommt. Das Priestertum ist wesentlich eine Sendung. Allerdings soll jeder seine Talente entfalten und zur Verfügung stellen, was indirekten Einfluss auf die Aufgaben hat, die einem anvertraut werden können.
Der Priester ist in Europa immer mehr Missionar. Wie sehr ist die Ausbildung in den Seminaren der Priesterbruderschaft auf diese neue Situation ausgelegt?
Wir sind eigentlich von Anfang an darauf vorbereitet und wurden schon als Missionsgesellschaft gegründet. Gleich im zweiten Absatz unserer Statuten heißt es, die Priesterbruderschaft ist ihrem Wesen nach apostolisch, also missionarisch, weil es das Messopfer ebenfalls ist und weil ihre Mitglieder in der Regel in der Seelsorge tätig sind. Das Vorbild der Priesterbruderschaft waren unter anderem auch die Väter vom Heiligen Geist, denen unser Gründer, der Erzbischof Lefebvre, angehörte und deren Generaloberer er später war. Das war eine Missionsgesellschaft, die im 19. und auch im 20. Jahrhundert große Teile Afrikas missioniert hat. Missionare heranzubilden war daher von Anfang an das Ziel der Priesterbruderschaft, Apostel für die heutige Zeit. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten noch verschärft, dadurch dass große Teile Europas im Prinzip als Missionsländer hinzukommen. In der Ausbildung in unseren Seminaren tragen wir dem sowohl theologisch als auch spirituell Rechnung. Das betrifft beispielsweise die Inhalte des Studiums, wo ein Schwerpunkt auf den Grundlagen und der Vermittlung des Glaubens liegt. Aber die Seminaristen werden auch spirituell in dieser Hinsicht geformt, dass sie immer mehr in die Sehnsucht hineinwachsen, die Welt für Christus zu gewinnen. Wir wollen Priester mit einer grenzenlosen missionarischen Liebe heranbilden.
Gibt es Gründe, die abseits der übernatürlichen Dimension für ein priesterliches Leben sprechen?
Zunächst ist tatsächlich die übernatürliche Dimension zentral und entscheidend. Wer aus Gründen abseits des Übernatürlichen über ein priesterliches Leben nachdenkt, sollte das unter allen Umständen bleiben lassen. Denn eine natürliche Motivation allein ist nicht ausreichend. Mit einer solchen bleibt das Priestertum auch absolut unverständlich. Der Priester ist nicht nur einfach ein Sozialarbeiter.
In anderer Hinsicht jedoch wird ein echt gelebtes Priestertum auch auf natürlicher Ebene ein erfülltes Leben mit sich bringen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man die eigenen Talente einbringen kann und diese fruchtbar werden. Die Aufgaben eines Priesters sind vielfältig. So haben wir einen sehr abwechslungsreichen Tagesablauf, in dem es eine besondere Ausgeglichenheit zwischen der Feier der Liturgie, persönlichem Gebet, Studium, seelsorglicher Tätigkeit und praktischen Dingen gibt. Insbesondere der selbstlose Einsatz für andere und gerade für das Wertvollste in ihrem Leben schenkt eine ganz tiefe Erfüllung. Sagt doch das Sprichwort zu Recht: „Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu andrer Glück! Denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigne Herz zurück!“
Woran merkt man, dass Gott einen ruft?
Diese Frage stellen sich ganz viele Jugendliche. Zur Berufung sind drei Dinge notwendig: die Eignung zum priesterlichen bzw. zum Ordensleben, die richtige Motivation, und die Gutheißung durch die Kirche. Die Voraussetzungen bestehen zum Beispiel in der Ausgeglichenheit, einem guten Charakter mit klarem Kopf, genügenden intellektuellen Fähigkeiten und einer soliden und tiefen Frömmigkeit. Wenn dazu die Motivation hinzukommt, sein Leben ganz Gott zu weihen und in seinen Dienst zu stellen, kann ein junger Mann davon ausgehen, dass Gott ihn ruft. Sehr oft kommt zum Beispiel der Wunsch auf, das heilige Messopfer darzubringen, oder auch sein Leben ganz für die Rettung unsterblicher Seelen hinzugeben. Dies sind Anzeichen einer vorhandenen Berufungsgnade, die sich in der Regel auf diese Weise zeigt. Wie gesagt, jeder junge Mensch sollte sich diese Fragen stellen. Idealerweise spricht man auch vor wesentlichen Weichenstellung mit seinem Beichtvater darüber. Aber auch wir anderen Priester stehen jederzeit gerne zur Verfügung. Und schließlich: wenn die Voraussetzungen und die Motivation da sind, ruhig auch den Mut haben, auszuprobieren!