Berufung: Warum nicht ich?

Quelle: Distrikt Deutschland

R. P. Ludovic Marie Barrielle

Fünf Zeichen erlauben dem nach Vollkommenheit Strebenden zu erkennen, dass er dieser Berufung mit ruhigem Gewissen folgen kann.

 

  1. Verstehen, dass ich in dieser Berufung dem Herrn besser dienen werde, mich besser heiligen werde, besser an meinem Heil und dem Heil der Seelen arbeiten werde, Gott hier auf Erden und im Himmel besser verherrlichen werde. Wenn unser Herr von denen spricht, die um des Himmelreiches willen jungfräulich bleiben, sagt er uns, dass man dies nicht ohne besondere Gnade verstehen kann: „Nicht alle fassen dieses Wort, sondern nur die, denen es gegeben ist.“ (Mt 19) 

    Es geht nicht darum zu wissen, dass in der Theorie die religiöse Berufung höher steht als der gewöhnliche Weg, sondern ob ich, mit meinen konkreten Eigenschaften, dem Herrn so besser dienen werde. Wenn ich dies also verstehe, habe ich bereits einen ersten göttlichen Hinweis.
  2. Die erforderlichen Dispositionen haben. In der 15. Anmerkung [des Exerzitienbüchleins] sagt uns der heilige Ignatius, dass es außerhalb der Exerzitien „erlaubt und verdienstvoll“ ist, nicht jedermann, wohl aber „alle Personen mit den erforderlichen Dispositionen“ zu „ermutigen“, Jungfräulichkeit, Ordensleben und jede Form evangelischer Vollkommenheit zu wählen. Dies ist ein sehr wertvoller Hinweis. 

    Wenn jemand die erforderlichen Dispositionen nicht hat, kann man normalerweise (außer bei einem Wunder) daraus schließen, dass Gott ihn nicht ruft. Achtung! 

    Vielleicht gibt ihm Gott eine andere Berufung, aber gewöhnlich nicht jene, für die er nicht die erforderlichen Dispositionen hat. Beispiele für erforderliche Dispositionen sind: ein Mindestmaß an Intelligenz (wenn ein Studium erforderlich ist), ein Mindestmaß an Gesundheit (wenn man in die Mission gehen muss), und für jede Berufung, gesunden Menschenverstand zu haben.
  3. Es darf keine Gegenanzeigen geben. In der Medizin spricht man von einer Gegenanzeige, wenn etwas eigentlich Heilsames dem betreffenden Menschen schaden würde. Ebenso gibt es Gegenanzeigen für eine Berufung sowohl aus dem Naturrecht als auch aus dem Kirchenrecht. 

    Beispiele: Ein junger Mann, der eine arme Familie ernähren muss, ein Mensch mit Schulden oder anhängigen Prozessen können nicht ins Noviziat eintreten, ohne diese Fragen geklärt zu haben. Dies ist also ein wichtiges Ausschlusskriterium für das Vorhandensein oder Fehlen einer Berufung.
  4. Wenn man sich Gott hingibt, muss man die Verzichte akzeptieren, die das Üben der evangelischen Räte erfordert. „Es ist besser, kein Gelübde abzulegen, als ein Gelübde abzulegen und es nicht zu halten“. (Pred 5, 4) 

    Jemand, der zum Beispiel die Keuschheit, die Armut oder den Gehorsam nicht befolgen möchte, sollte sich nicht dem Ordensleben verpflichten. Ein Mensch, der gegen die Keuschheit gesündigt hat, sollte nicht voranschreiten, ohne seine schlechte Gewohnheit korrigiert zu haben. 

    „Eine lange Keuschheit ist eine zweite Jungfräulichkeit“. (hl. Bernhard)
  5. Man muss einen Bischof oder eine Kongregation finden, die einen aufnimmt. Dies ist das offizielle Zeichen der Berufung Gottes. 

    Keinen Bischof oder keine Kongregation zu finden, die einen aufnimmt, ist das Zeichen, dass Gott einen nicht ruft. Aber Achtung! Man sollte nicht zu schnell und zu oberflächlich urteilen. Jemand kann für eine bestimmte Kongregation nicht geeignet sein und in einer anderen sehr gut zurechtkommen. 

    Ebenso kann sich jemand irren, der auf den ersten Blick urteilt, dass ein Kind keine Berufung hat. Es ist erlaubt, zu beharren und anderswo zu suchen, besonders wenn man bei einem Kandidaten die fünf genannten Zeichen feststellt. 

Es wird erzählt, dass ein Kandidat aus einem Knabenseminar wegen irgendeiner Unbesonnenheit entlassen wurde. Der Pfarrer, der ihn kannte, schickte ihn in eine apostolische Schule, wo der junge Mann große Fortschritte machte, ins Priesterseminar kam und seinen Abschluss in Theologie erwarb. Als Priester wurde er bald Prälat mit hohen Funktionen und eines Tages Kardinal. Gemäß gutem Brauch bereitete die Heimatdiözese, die geehrt war, einen ihrer Söhne mit dem Kardinalspurpur bekleidet zu sehen, ihm ein großes Fest in der Kathedrale. Ein Bankett folgte, das im Knabenseminar stattfand. Am Ende der Mahlzeit bat der neue Kardinal den Direktor: „Könnten Sie mir nicht das Buch mit dem Verzeichnis der Eintritte bringen?“ und er las in dem Jahr, an das niemand mehr dachte: „Pizzardo, entlassen wegen mangelnder Berufung.“ 

Der Kardinal nahm dann seinen Stift und fügte mit Humor hinzu „E oggi, cardinale della Santa Chiesa“ (und heute Kardinal der Heiligen Kirche). Es handelt sich um Seine Eminenz Kardinal Pizzardo, damals Leiter aller katholischen Seminare und Universitäten der Welt.

Das Kirchenrecht reduziert diese Berufungszeichen auf vier:

  • die rechte Absicht
  • der Ruf des Bischofs
  • die erforderlichen Qualitäten
  • das Fehlen von Irregularität oder Hindernissen.

Jemand, der diese vier Bedingungen erfüllt, kann sich ohne Angst vor einem Irrtum einer Berufung hingeben, auch wenn er keine Lust dazu hat. 

Natürlich wäre es anders, wenn es sich um eine unüberwindliche Abneigung oder eine durch den Druck eines Vaters, eines Paten oder einer Patin erzwungene Hingabe handelte. In diesem Fall würde der Betroffene nicht die gewünschten Bedingungen erfüllen.

„Jeder, der die Eignung und die rechte Absicht hat und nach dem Priestertum strebt, kann sich dem Bischof vorstellen.“ (Hieronymus Noldin)

Hier ist ein gewöhnlicher junger Mann, lebhaft und intelligent. Er würde gerne heiraten, mehrere junge Damen umkreisen ihn. Er müsste nur ein Zeichen geben. Aber betroffen vom Mangel an Arbeitern im Weinberg des Herrn und der großen Zahl von Seelen, die aus Mangel an Aposteln verloren gehen, sieht er alle Folgen voraus, die sein Verzicht auf die erlaubten Freuden der Ehe für das Heil der Welt hätte, wenn er sein ganzes Leben dem lieben Gott weihen würde.

Er sieht die Folgen dieser Hingabe bei einem heiligen Franz Xaver, einem heiligen Johannes Bosco, einem heiligen Vinzenz von Paul, einem heiligen Johannes Maria Vianney.

Er sagt sich „Und warum nicht ich?“

Die fünf oben genannten Zeichen oder Bedingungen besitzt er. Er versteht die Wirksamkeit, die sein Opfer für den Dienst Gottes und der heiligen Kirche hätte, die Zahl der verwandelten Familien, und um wie vieles besser er sich heiligen würde. Er hat die erforderlichen Dispositionen, wenn er sich Gott hingibt, ist er fest entschlossen, mit seiner Gnade die Verpflichtungen einzuhalten. Er hat keine Gegenanzeigen.

Er wird leicht einen Bischof oder eine Kongregation finden, die ihn aufnimmt.

Dieser junge Mann kann sagen: Gott ruft mich, ich gebe ihm mein Leben, ich widme mich seinem Dienst. Er kann diese Worte des göttlichen Meisters als an ihn gerichtet betrachten: „Wenn du willst, geh, verkaufe alles, was du hast, gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!“

„Kein Motiv“, sagt der heilige Ignatius, „soll mich bestimmen, diese Mittel zu wählen oder abzulehnen, außer dem Dienst und Lob Gottes unseres Herrn und dem ewigen Heil meiner Seele.“ 

Der heilige Thomas sagt uns, dass es mehr Gründe braucht, um nicht Ordensmann zu werden als um Ordensmann zu werden. Und er wiederholt mehrmals „Vor allem suche nicht Rat bei denen, die dich hindern werden“ und er zitiert diese Worte des heiligen Hieronymus: „Beeile dich, ich bitte dich, und wenn du zögerst, durchtrenne die Taue, anstatt Zeit zu verlieren, sie zu lösen.“ 

Sobald die Frage der Berufung vor Gott gelöst ist, muss man aufhören, rechts und links um Rat zu fragen und zu zögern. Dies ist ein klassisches Mittel, dessen sich der Teufel bedient, um viele zu verwirren und zu entmutigen. Der junge Mann soll Gott nicht warten lassen.

Soweit es von ihm abhängt und sobald die Frage geklärt ist, sollte er sich sofort großzügig Christus hingeben und zur Verwirklichung schreiten, sobald er kann. Man lässt den Herrn nicht warten. 

Der heilige Ignatius sagt uns: „Was würdest du einem jungen Mann, der dir ähnlich wäre, raten zur größeren Ehre Gottes und zur größeren Vollkommenheit seiner Seele? Was würdest du heute auf deinem Sterbebett gewählt haben wollen? Was sind deine verschiedenen Argumente, auf der einen oder anderen Seite wert vor dem Gericht Gottes? Und zögere nicht mehr, handle entsprechend. Wenn du es willst, dann begreife, welche Gnade und Ehre dir zuteil geworden sind.“