Die belohnte und gekrönte Demut Mariens, Teil 1
Zum Hochfest der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel bringen wir eine historische Predigt mit einer Betrachtung über die Demut der Gottesmutter. Die Demut ist eine Tugend, die, wie wir wissen, dem Menschen von Anbeginn an schwer gefallen ist. Noch nie, so scheint es, war es schwerer, als in unserer Zeit, demütig zu sein, diese Tugend scheint völlig verloren gegangen sein in unserer Gesellschaft. Uns allen fällt es schwer, uns in Demut zu üben. Der Hochmut hat aber heutzutage ein nie geahntes Ausmaß angenommen, er ist es, der uns immer weiter von Gott entfernt und die Menschen in ein neues Heidentum treibt. Möge uns diese Betrachtung – in drei Teilen – den Wert der Demut neu erkennen lassen!
“Er hat angesehen die Niedrigkeit Seiner Magd; denn siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter!“
Teil 1:
Die triumphvolle Aufnahme Mariens in den Himmel, welche den Gegenstand der heutigen Feier bildet, ist die Krone aller Muttergottesfeste, der würdige Abschluss alles dessen, was die Kirche im Laufe des Jahres an Maria, der auserwählten Jungfrau, uns gezeigt hat. An den übrigen Festen stellt sie uns nämlich die ewig gebenedeite Mutter des Herrn in ihrem irdischen Lebenswandel vor. Sie erinnert uns daran, wie sie vom ersten Augenblick ihres Daseins an in der seltensten Weise von Gott ausgezeichnet und mit Gnaden überhäuft wurde, wie sie zur Freude der ganzen Menschheit das Licht der Welt erblickte und durch ihre Geburt den baldigen Eintritt, der so lange verheißenen und so sehnlichst erwarteten Erlösung ankündigte. Sie zeigt uns, wie Maria zur Würde einer Mutter Gottes erhoben wurde, wie sie ein Leben der Demut, des Gehorsams, der reinsten Gottes- und Nächstenliebe, ein Leben der vollkommensten Heiligkeit führte.
Heute aber lässt uns die Kirche Maria, die ewig preiswürdige Jungfrau, in ihrem Triumph, in ihrer Herrlichkeit, in ihrer Glorie schauen. Sie zeigt uns, wie sie von der heiligsten Dreifaltigkeit unter den Freudengesängen der seligen Geister ins himmlische Jerusalem eingeführt und zur Königin des Himmels gekrönt worden ist. Darum jubelt sie heute in ihren Festgebeten und drückt ihre Freude mit den Worten aus: „Heute ist Maria, die Jungfrau, in den Himmel aufgenommen. Sie ist über die Chöre der Engel im Himmel erhöht worden. Freuet euch; denn sie herrscht mit Christus in Ewigkeit!“ So ist wahr geworden, was sie selbst in prophetischem Geist gesprochen: „Es werden mich selig preisen alle Geschlechter!“ (Lk 1,48.) Diese unvergleichliche Herrlichkeit, diese Erhöhung über alle Chöre der seligen Geister ist ihr zu teil geworden, weil sie hienieden, obschon am meisten begnadigt, die Niedrigste und Demütigste von allen war. Sagt sie doch selbst: „Der Herr hat angesehen die Niedrigkeit seiner Magd.“ Heute sehen wir also im Himmel die Demut gekrönt. Maria, die demütige Magd des Herrn, jetzt die ruhmgekrönte Königin des Himmels. Diesen Gedanken wollen wir der heutigen Betrachtung zugrunde legen und erwägen, dass der Stolz immer weiter von Gott entfernt, während die Demut zu Ihm hinführt; ferner dass Maria, weil einst die Demütigste, jetzt im Himmel die Nächste bei Gott ist.
Der glorreiche Menschensohn, zu dessen Rechten Maria thront, wolle uns durch diese Betrachtung den Weg zeigen, den wir zu wandeln haben, um Ihm immer näher zu kommen!
1. Der Stolz entfernt den Menschen von Gott
Der Stolz entfernt den Menschen von Gott, während die Demut zu Ihm hinführt. Der Hochmut ist es, der uns den Weg zu Gott und Seiner Liebe, Seinem Wohlwollen und Erbarmen verschließt. Der Heilige Geist sagt im Buche Jesus Sirach: „Initium omni peccati est superbia – Der Stolz ist der Anfang aller Sünde.“ Wie wahr dieses ist, beweist uns ein Blick auf die göttliche Urkunde, auf die Blätter der Heiligen Schrift. Diese berichtet uns, dass der Stolz, d.h. das Streben, sich über die Schranken eines in sich ohnmächtigen und abhängigen Geschöpfes zu erheben aus sich selbst etwas sein zu wollen, einen großen Teil der Engel, Schöpfers, von den Höhen des Himmels in den Abgrund der Hölle hinabgeschleudert und zwischen ihnen und ihrem Gott eine Kluft ausgespannt hat, welche niemals mehr in alle Ewigkeit überbrückt werden kann. „Gott hat der Engel, die da sündigten,“ so schreibt der heilige Petrus: „nicht geschont, sondern sie, mit Höllenbanden gefesselt, dem Abgrund zur Qual überliefert.“ Auf Luzifer, den Anführer dieser aufrührerischen Engel, wenden die Väter die Worte des Propheten Isaias an: „Dein Hochmut ist zur Hölle gefahren. … Wie bist du vom Himmel gefallen, du Morgenstern, der du frühe aufgingest! … Der du sprachst in deinem Herzen: Zum Himmel will ich hinaufsteigen und über die Sterne Gottes meinen Thron setzen! … Dem Höchsten will ich gleich sein! Ja, zur Hölle fährst du hinab, zur tiefsten Grube!“ – Ferner, nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift hat der Stolz das Paradies und den Himmel geschlossen, das Menschengeschlecht ins tiefste Elend gestürzt und die Erde in ein Tal der Tränen verwandelt. In dem törichten Streben, Gott gleich zu werden, und der Abhängigkeit von Gott sich zu entschlagen, aßen unsere Stammeltern von dem verbotenen Baum; und so wurde alles zerstört und vernichtet, was Gott in Seiner Liebe für die Menschen getan hatte. Der Stolz hat also die Bande zerschnitten, welche der gütige Gott ursprünglich um sich und Seine vernünftigen Geschöpfe geschlungen hatte. Daher ruft der Herr beim königlichen Propheten aus: „Nicht wohnen soll in meinem Haus, wer Hochmut verübt!“
2. Gott wendet sich ab vom Hochmütigen
Der Stolz ist es ferner, der den Menschen immer weiter von Gott wegführt und bewirkt, dass dieser in Seinem Zorn sich ganz von ihm abwendet, seine segnende Hand, zurückzieht und ihn sich selbst und seinem Elend ohne Erbarmen überlässt. So sagt der Heilige Geist: „Für die Gemeinschaft der Hochmütigen gibt es kein Heil, denn der Keim der Sünde hat in ihnen Wurzel geschlagen. Der Hochmütige achtet nicht auf das, was zu fürchten ist, dafür wird ein solcher … auch durch seine eigenen Aufschläge gestraft werden.“ Gott lässt den stolzen Menschen immer tiefer sinken, ohne mit erbarmender Hand einzugreifen. Denn er selbst ruft aus: „Hoffart und Stolz sind mir ein Greuel.“ Und der Heilige Petrus schreibt: „Den Stolzen widersteht Gott.“ Sein Abscheu vor dem Stolz ist so groß, dass derselbe den sonst so gütigen und barmherzigen Gott drängt, die Zuchtrute zu schwingen und die Hochmütigen mit Strafgerichten heimzusuchen. Daher, sagt die Schrift: „Du drohest den Stolzen. Das Haus der Hochmütigen reißt der Herr nieder.“ Gott vertilgt das Andenken der Stolzen.“ Ja, Gott lässt für gewöhnlich den hochmütigen Menschen ohne Mitleid und Erbarmen in der Sünde dahinsterben. Daher bleibt die Tatsache, dass Menschen, welche sich vom Hochmut ganz und gar einnehmen lassen, so äußerst selten zur Bekehrung kommen. Sie mögen vor ihrer traurigen Verirrung noch so viel Gutes getan haben, es mag später für sie noch so viel gebetet werden, in der Regel scheiden sie unbelehrt aus dem Leben. Es ist, als ob der zürnende Gott alle Fäden für immer zerschnitten habe… Ja, Gott hasst den Stolz; und nichts entfernt den Menschen weiter von Gott und seinem Erbarmen, als der Hochmut, wenn er den Menschen beherrscht.
3. Warum verabscheut Gott den Stolz?
Nun fragen wir gewiss, worin es denn seinen Grund habe, dass Gott den Stolz so verabscheut. Es kommt daher, weil der Stolz Gott den Herrn in seinem innersten Wesen, in Seinen heiligsten unveräußerlichen Rechten angreift. Gott allein hat das Leben und die Quelle aller Güter in sich. Alles stammt von Ihm. Er ist es, der es ins Dasein gerufen; Er ist es, der es noch immer erhält. Daher verlangt Er unbedingt und muss von allen vernünftigen Geschöpfen verlangen, dass sie diese Seine Oberherrlichkeit und ihre Abhängigkeit von Ihm voll und ganz anerkennen, dass sie Ihn als den Urheber alles Guten betrachten und Ihm für alles die Ehre geben. Auf diese innere und äußere rückhaltlose Anerkennung von Seiten der Menschen legt Gott das höchste Gewicht. Es ist jene Anbetung, jene Huldigung, die Er durch das erste und wichtigste Gebot von uns verlangt. Daher ruft Er aus:“ Meine Ehre will ich keinem anderen geben!“ Wenn ich der Vater bin, wo ist meine Ehre? An dieser Ehre, die Gott, dem Herrn, die heiligste ist, vergreift sich der Stolz. Derselbe will Gott gleich, d. h. er will in sich selbst auch etwas, er will sein eigener Gott sein. Er trägt sich, als ob seine Gaben, seine Güter, seine Verdienste und Vorzüge sein Eigentum seien, als ob er niemandem Dank schulde, als sich selbst. Ihn allein sollen die Mitmenschen bewundern und loben, nicht den Schöpfer, der ihm die Talente verliehen. Ihm sollen sie das Gute zuschreiben, das er übt, und nicht der Gnade von oben, die in ihm wirkt. So stürzt er in gewissem Sinne seinen Gott vom Thron, um selbst den Thron zu besteigen. Wir können uns denken, dass eine derartige Denk- und Handlungsweise Gott den Herrn aufs Tiefste kränkt. Wenn Er Seine Geschöpfe mit Wohltaten überhäuft, muss Er damit nicht in gerechtem Zorn aufflammen, wenn sie Seine Gaben missbrauchen, um sich über Gott zu erheben und sich selbst Weihrauch zu streuen?
Quelle: Maria, der Christen Hort, Predigten zu den Muttergottesfesten von G. Diessel
- wird fortgesetzt