Altes Testament und Archäologie: 10. Der Untergang des Nordreichs und das weitere Schicksal des Südreichs
Die Untreue der Könige und des Volkes gegen Gott führte schließlich zum Untergang der beiden Königreiche Israels, und zwar zuerst des Nordreichs. Das Königreich Juda bestand noch 135 Jahre länger. Hier hielten zwei vorbildliche Könige die Katastrophe noch etwas auf.
Der Untergang des Nordreichs
Nach der kurzen Blütezeit des Nordreichs unter Jerobeam II. (782-753 v. Chr.) regierte dessen Sohn Secharja nur sechs Monate und wurde dann Opfer einer Palastrevolte. Die Bibel kommentiert:
„So erfüllte sich die Verheißung des Herrn, die er Jehu gegeben hatte. ‚Bis ins vierte Glied sollen deine Nachkommen auf dem Thron von Israel sitzen.‘ So geschah es auch“ (2 Kön 15,12).
Anschließend regierten verschiedene Könige, die meist durch eine Revolte an die Macht gekommen waren. Das Königreich stand ganz in Abhängigkeit von den Assyrern, denen es Tribut zahlen musste. König Pekach (740-732), der ursprünglich Leibwächter im Palast von Samaria gewesen war und seinen Herrn erschlagen hatte, verbündete sich dann mit König Rezin von Damaskus, um das Joch der Assyrer abzuwerfen. Er versuchte, auch König Ahas von Juda für diese Allianz zu gewinnen, aber dieser lehnte ab und nahm sogar in Kauf, dass Jerusalem deswegen von Pekach und Rezin belagert wurde. Der Prophet Isaias verkündete dem Ahas damals, dass er sich nicht vor den beiden Königen von Israel und Damaskus fürchten müsse und forderte den König sogar auf, sich ein Zeichen von Gott zu erbitten. Ahas aber lehnte ab, weil er schon beschlossen hatte, sich dem Assyrerkönig Tiglat-Pileser III. zu unterwerfen. Darauf bezieht sich das berühmte Wort von Is 7,14:
„Darum wird der Allmächtige selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und ihn ‚Emmanuel‘ nennen. Butter und Honig wird er essen, bis er versteht, das Böse zu verwerfen und zu erwählen das Gute. Denn bevor noch der Knabe versteht, zu verwerfen das Böse, zu erwählen das Gute, liegt verödet das Land, vor dessen zwei Königen dir graut.“
Das bedeutet: Innerhalb weniger Jahre, solange es braucht, bis ein Kind geboren wird und zum Vernunftgebrauch gelangt, werden die beiden Königreiche niedergeworfen sein. In der Tat erlag Damaskus im Jahr 732 (vgl. 2 Kön 16,9) dem Ansturm der assyrischen Heere.
Hoschea, ein Agent der Assyrer, zettelte eine Verschwörung gegen Pekach an und bestieg den Thron als Vasallenkönig der Assyrer. In einer Inschrift prahlt der Assyrerkönig, dass er die Bevölkerung nach Assyrien abgeführt und den Hoschea als König eingesetzt habe. Damals kam es also schon zu einer ersten Wegführung von Israeliten. Nach einer anderen Inschrift sollen es 13 520 Mann gewesen sein.
Hoschea hielt zwar Tiglat-Pileser die Treue, aber unter dessen Nachfolger Salmanassar V. (726-722 v. Chr.) stellte er die Zahlungen ein und schloss ein Bündnis mit dem ägyptischen Pharao. Salmanassar rückte deswegen gegen das Nordreich an, belagerte Samaria drei Jahre lang und eroberte es im 9. Jahr des Hoschea. Die Israeliten wurden verschleppt (es sollen weitere 27 280 Mann gewesen sein), statt ihrer wurden Leute aus Babylon und anderen Städten in Syrien und am Euphrat dort angesiedelt. Damit hatte das Nordreich aufgehört, zu existieren.
Die religiöse Untreue im Südreich
Das Südreich bestand noch weiter, und während sich im Nordreich verschiedene Dynastien abgelöst hatten, herrschte hier immer ein Nachkomme Davids. Der Opferkult blieb im Jerusalemer Tempel zwar bewahrt, es gibt aber zahlreiche archäologische Hinweise, dass auch im Südreich die alten kanaanitischen Kulte fortgeführt wurden. Vor allem die Fruchtbarkeitsgöttin Aschera wurde viel verehrt und rückte anscheinend sogar an die Seite Jahwes. In Kanaan war sie nämlich als Gattin des Gottes El, des Vaters des Baal, verehrt worden. Da El kein Eigenname ist, sondern einfach Gott heißt, konnte dieser Name auch für Jahwe verwendet werden. So fand man z. B. einen Tonkrug mit der Aufschrift „Mögest du gesegnet sein von Jahwe und seiner Aschera“.
In einem Haus in der Davidstadt, das offenbar bei dem Erdbeben im Jahre 750 v. Chr. eingestürzt war, fanden die Ausgräber unter den Scherben von Vorratsgefäßen und Tierknochen auch das Skelett eines jungen Schweins. Die Bewohner hatten sich also offensichtlich nicht an die mosaischen Speisevorschriften gehalten, die Schweinefleisch verboten.
Die Reform König Hiskijas
Die Bibel stellt König Ahas ein schlechtes Zeugnis aus: Er sei auf den Wegen der Könige von Israel gewandelt und habe sogar einen Sohn durchs Feuer gehen lassen (2 Kön 16,3). Sein Sohn Hiskija (716-687 v. Chr.) beschloss, es anders zu machen. Vielleicht waren die Mahnungen des Propheten Isaias bei ihm auf guten Boden gefallen. Über ihn heißt es:
„Als er König wurde, war er 25 Jahre alt und regierte 29 Jahre in Jerusalem. … Er tat, was dem Herrn wohlgefiel, ganz so, wie sein Ahnherr David getan hatte. Er schaffte die Höhen ab, zertrümmerte die Steinmale, hieb die Ascheren um und zerschlug die eherne Schlange, die Mose angefertigt hatte; bis zu jener Zeit hatten ihr nämlich die Israeliten Rauchopfer dargebracht. … Er setzte sein Vertrauen auf den Herrn, den Gott Israels. Von allen Königen Judas kam ihm keiner gleich, weder unter seinen Nachfolgern noch unter seinen Vorgängern“ (2 Kön 18,2-5).
Die sogenannte Hiskija-Reform schlägt sich auch in den archäologischen Funden nieder. In Lachisch, das unter Rehobeam und seinen Nachfolgern zur zweiten Residenz- und Garnisonsstadt geworden war, fanden die Archäologen z. B. ein ehemaliges Heiligtum mit zwei Opferaltären, das in eine Toilette umgewandelt worden war. Auch die Hörner der Altäre waren abgeschlagen worden.
Unter Hiskija wurde der Jerusalemer Tempel der einzige berechtigte Kultort. Er ließ den Tempel, der durch seinen Vater entweiht worden war, reinigen und neu einweihen, und anschließend ein gigantisches Paschafest feiern, allerdings einen Monat nach dem üblichen Termin, weil man mit den Arbeiten nicht rechtzeitig fertig geworden war (2 Chr 20-30).
Jerusalems Belagerung und Rettung
Nachdem König Hiskija Gott versöhnt und den Opferkult in seiner Reinheit wiederhergestellt hatte, meinte er vermutlich, er könne sich jetzt – zusammen mit anderen Königen der Region – von Assyrien lossagen. Dies geschah, als Sanherib den assyrischen Thron bestieg. Sanherib zog darauf zu einer Strafaktion aus. Da er sich aber nicht sofort gegen Juda wendete, hatte Hiskija Gelegenheit, Vorbereitungen zu treffen.
Jerusalem hatte sich seit der Zeit Davids und Salomos stark vergrößert und war auf das Vierfache angewachsen, wahrscheinlich vor allem durch Flüchtlinge aus dem Nordreich. Hiskija ließ in aller Eile die Stadtmauer ausbessern und sogar eine zweite Mauer bauen. Er verschüttete die Wasserquellen außerhalb der Stadt und ließ einen 533 Meter langen Tunnel anlegen, um die Wasserversorgung sicher zu stellen. Dieser Tunnel begann bei der Gichonquelle in Jerusalem, die unterirdisch in einer Grotte am Fuß des Osthangs der Davidsstadt im Kidrontal entspringt. Der Bau war ein Großprojekt mit für die damalige Zeit riesiger ingenieurtechnischer Herausforderung. Zwei Bautrupps gruben sich durch das Gestein, wobei der eine an der Quelle, der andere an der Mündung begann. Die Trupps wurden vielleicht durch Klopfzeichen geleitet. Kurz vor dem Zusammentreffen konnten die Trupps einander hören und arbeiteten sich mit einigen Richtungskorrekturen aufeinander zu.
Sanherib zog im Frühjahr 701 v. Chr. mit seiner Streitmacht von Ninive aus zunächst nach Phönizien, dessen König floh und durch einen Vasallen der Assyrer ersetzt wurde. Die umliegenden Fürsten eilten sofort mit reichen Geschenken in Sanheribs Lager, unterwarfen sich und schworen ihm Treue. Dann ging Sanherib ins Philistergebiet, belagerte mehrere Städte und schickte schließlich den König ins Exil.
Sein nächstes Ziel war Lachisch. König Hiskija war bereit, eine Ablösesumme zu zahlen und lieferte dafür sogar das Gold und Silber des Tempels und seines Palasts aus (2 Kön 18,14-16). Die Summe war aber entweder nicht groß genug oder Sanherib hielt sich nicht an die Abmachung, denn Lachisch wurde trotzdem in Schutt und Asche gelegt (was die Bibel allerdings nicht berichtet, jedoch durch die Archäologie feststeht), und Sanherib belagerte daraufhin Jerusalem. Hier versicherte der Prophet Isaias nun aber dem König, dass Sanherib nicht in die Stadt eindringen werde (2 Kön 19,32).
Tatsächlich spricht Sanherib in seinem Bericht von dem Feldzug, der uns auf einer Tonsäule erhalten ist, nur davon, dass er Hiskija in Jerusalem eingeschlossen habe. Warum nahm er Jerusalem nicht ein und ersetzte Hiskija durch einen Vasallen? Die Bibel sagt, dass ein Engel des Herrn im Lager der Assyrer 185.000 Mann niedergestreckt habe (2 Kön 19,35; Is 37,36). Der jüdische Schriftsteller Josephus Flavius schreibt in den Altertümern (10,1,5), es sei die Pest gewesen, die unter den Belagerern eine solche Verheerung angerichtet habe. Das entspräche auch dem Bericht in 2 Sam 24,15 f., nach dem ein Engel als Strafe für die Volkszählung Davids seine Hand gegen Jerusalem ausstreckte, worauf eine Pest ausbrach, bis Gott dem Engel befahl, seine Hand wieder abzuziehen.
Sanherib wurde 20 Jahre später (681 v. Chr.) von zweien seiner Söhne getötet, den Thron bestieg ein dritter Sohn. Unter diesem erreichte Assur zwar seine größte Ausdehnung, aber nach dessen Tod belagerte der König Babylons Nabupolassar Ninive, die damals größte Stadt der Welt, und nahm sie 612 ein. Die Assyrer waren nun keine Gefahr mehr für Jerusalem, dafür war aber in den Babyloniern eine neue Gefahr entstanden.