50 Jahre FSSPX: Eine Reform ohne Heilige gibt es nicht
Das neue Priesterseminar der FSSPX in den USA
Von Pater Stefan Pfluger
Das fünfzigste Jahr des Bestehens der Priesterbruderschaft St. Pius X. neigt sich dem Ende zu. Bevor wir im nächsten Monat das goldene Jubiläum feiern und Gott von Herzen danken, halte ich es für angebracht, die Frage zu stellen:
Aus welchem Grund und zu welchem Ziel hat Erzbischof Marcel Lefebvre die Priesterbruderschaft St. Pius X. gegründet?
Wie Sie alle wissen, hat Erzbischof Lefebvre die Gründung einer Gemeinschaft nicht angestrebt, ja sogar vermeiden wollen. Er wurde buchstäblich dazu gedrängt von Priesteramtskandidaten, die ihre geistige Heimat verloren hatten.
Im Zuge des „Aggiornamento“ waren viele Priesterseminare zu Nährböden sozialistischen und kommunistischen Denkens und Agitierens mit religiöser Verbrämung geworden. Das Lehramt aller Jahrhunderte mit seiner verbindlichen Glaubenslehre spielte keine Rolle mehr, die Aszese wurde verächtlich gemacht, die Liturgie der Beliebigkeit preisgegeben. Wenn ein Seminarist noch das geistliche Gewand tragen wollte, wurde er von den anderen durch Spott und Verachtung aus der Gemeinschaft gedrängt oder sogar durch die Vorgesetzten aktiv zum Verlassen des Seminars aufgefordert.
Es drehte sich daher seit den ersten Anfängen, als Erzbischof Lefebvre von Seminaristen gedrängt, von Bischöfen und Professoren aufgefordert wurde, tätig zu werden, alles um das Priestertum. Die Bruderschaft sollte es den Mitgliedern ermöglichen, ihr Priestertum zu leben und zu entfalten, wie Christus es gestiftet hat. Daher ist das Ziel der Priesterbruderschaft in ihren Statuten so auf den Punkt gebracht: „Das Ziel der Bruderschaft ist das Priestertum und alles, was sich darauf bezieht.“
In den ersten Jahren des Bestehens entzündeten sich die Angriffe gegen die Priesterbruderschaft vor allem an der Frage der Messe. Das ist aus zwei Gründen nicht erstaunlich.
Der erste Grund ist die Tatsache, dass Priestertum und Messopfer untrennbar verbunden sind. Erzbischof Lefebvre führte in einem geistlichen Vortrag aus: „Diese drei Dinge sind wie die Finger einer Hand miteinander verbunden: die Eucharistie, das Opfer, der Priester. Wenn ich euch also zu guten Priestern machen will, dann deshalb, damit ihr das wahre Opfer darbringen könnt und damit aus diesem Opfer … die wahre Eucharistie hervorgeht, wo Unser Herr gegenwärtig ist, … wo wir niederknien und Ihn anbeten, mit Ihm leben können. Das Seminar hat keinen anderen Grund zu existieren, die Bruderschaft hat keinen anderen Grund zu existieren: der Priester, das Opfer, die Eucharistie. Das müssen wir behalten.“
Der zweite Grund ist das unbeirrte Festhalten Erzbischof Lefebvres am tridentinischen Messritus und die Ablehnung der Liturgiereform von 1969. Rasch war unserem Gründer klar, dass die „Neue Messe“ die katholische Lehre über das Messopfer nicht mehr klar zum Ausdruck brachte und daher einer Verwässerung des Glaubens Tür und Tor öffnete. „Der neue Messritus stammt“, wie er einmal sagte, „aus der Häresie und führt in die Häresie.“
Daher ging es bei der Frage der Messe beileibe nicht um eine Liebhaberei oder um ein Hängen am Gewohnten. Es war keine Nostalgie, die den Erzbischof bewog, sondern der offene Blick, dass der Glaube in Gefahr ist. Dieser Gefahr trat er mutig entgegen: „Was eine absolute Pflicht und ein absolutes Recht bleibt, ist der Schutz unseres Glaubens. Die heilige Messe ist der lebendigste Ausdruck des Glaubens, die göttliche Quelle, daher kommt ihre grundlegende Bedeutung. Niemand hat das Recht, uns dazu zu bringen, unseren Glauben zu verlieren – niemand!“
In allen kirchlichen Bereichen sah Erzbischof Lefebvre den Glauben in Gefahr: „Die Menschen verlieren den Glauben, Katechismen werden verändert, weil die Menschen den Glauben verloren haben. Sogar Theologen, sogar Bischöfe verlieren den Glauben. … Der Glaube ist die erste Sache, die wir bewahren müssen, und die wesentlichste Sache, die wir in uns tragen. Ohne Glauben können wir kein ewiges Leben haben. Ohne Glauben können wir nicht in den Himmel kommen, ohne Glauben können wir Gott nicht gefallen. Dies sind Worte der Heiligen Schrift, deshalb können wir unseren Glauben nicht ändern.“
Beantworten wir nun die eingangs gestellte Frage: Der Grund dafür, dass unsere Priesterbruderschaft gegründet wurde, besteht im Verfall des Glaubens und der Liturgie, zu welchem es im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils gekommen ist. Als Ziel unserer Priesterbruderschaft ist in erster Linie die Förderung des katholischen Priestertums und – bedingt durch die Umstände – ein unermüdlicher Einsatz für die Bewahrung des Glaubens und der überlieferten heiligen Liturgie zu nennen.
Wo stehen wir nun, fast 50 Jahre nach der Gründung? Hat die Priesterbruderschaft noch eine Existenzberechtigung? Wie ist die Lage?
Wir müssen feststellen, dass die genannten Gründe heute nur noch dringender sind. Die Glaubenskrise im Inneren der Kirche besteht unvermindert fort und hat sich verschlimmert. Es gibt kaum einen Punkt des Glaubensbekenntnisses, der unangetastet geblieben ist:
Dass Unser Herr Jesus Christus tatsächlich mit seinem Leib von den Toten auferstanden ist und das Grab danach leer war – daran glauben auch viele „Theologen“ nicht mehr. Sie machen sich lustig über die altmodischen Menschen, die nicht „verstanden“ hätten, dass hier bloß eine geistige Realität gemeint sei.
Dass Christus real mit seiner Gottheit und Menschheit in der Eucharistie gegenwärtig ist – wer glaubt noch daran? Es genügt ein kurzer Blick darauf, wie banal die konsekrierten Hostien behandelt werden und wie respektlos die hl. Kommunion gespendet wird, und man weiß, dass der Glaube an die Realpräsenz vielerorts nicht mehr vorhanden ist.
Dass die sakramentale Ehe unauflöslich ist und dass daher Eheleute nach einer zivilen Scheidung und erneuten standesamtlichen Trauung nicht zur Kommunion gehen dürfen, weil sie im Zustand permanenten Ehebruchs leben – das kann man offenbar den „mündigen Christen“ von heute nicht mehr zumuten. Nicht genug damit, dass viele Priester aktiv und ausdrücklich die genannten Personen zur Kommunion einladen – sie werden darin (siehe „Amoris Laetitia“) sogar noch vom Papst ermutigt!
Dass die Ehe eine von Gott zum Sakrament erhobene, dauerhafte und ausschließliche Verbindung von einem Mann und einer Frau ist und dass andere Verbindungen diesen Namen nicht verdienen – das zu sagen, gilt als Affront. Das kommt mir vor, als dürfe man nicht mehr sagen, dass ein Billig-Imitat aus China eben doch etwas grundlegend anderes ist als eine echte Rolex.
Dass die hl. Messe das gegenwärtig gesetzte Kreuzesopfer ist und daher diesen Opfercharakter, eine tiefe Sakralität ausstrahlen muss – das ist im Zeitalter einer weitverbreiteten oberflächlichen Effekthascherei nur noch selten zu spüren. Umso erstaunter und dankbarer sind Gläubige, wenn sie die Tiefe und den Reichtum der tridentinischen Liturgie entdecken.
Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Die Lage in der Kirche ist desaströs. Das kirchliche Leben liegt darnieder. Seine Grundlage, das Glaubensleben, liegt in den letzten Zügen.
Unsere Bruderschaft hat daher mehr als je eine Daseinsberechtigung.
Dabei dürfen wir aber nicht stehen bleiben.
Wir wollen der Kirche tatsächlich und wirkungsvoll dienen, wir wollen das katholische Priestertum fördern, wir wollen uns nach Kräften für die Bewahrung des Glaubens einsetzen. Das können wir aber nur, wenn wir nicht nur eifersüchtig darüber wachen, den kirchlichen Geist zu bewahren, sondern konsequent bei uns selbst anfangen. Ein Blick in die Kirchengeschichte genügt, um zu sehen, dass jede wahre Erneuerung des kirchlichen Lebens von Menschen ausgegangen ist, die wie der hl. Paulus innig mit Gott verbunden waren und ihren Leib in Dienstbarkeit brachten (vgl. 1 Kor 9,27). Eingehend mit dieser Thematik befasst sich das wertvolle Buch „Echte und unechte Reform“ von Prof. Dr. Georg May, aus dem ich einen Abschnitt zitieren möchte:
„Allen Reformern der Kirchengeschichte ist die Überzeugung eigen, dass die Reform anderer die eigene Erneuerung voraussetzt. Niemand kann reformieren, der nicht selbst innerlich verwandelt ist. Unerlässlich für das Entstehen einer Reform sind daher gottergriffene, heilige Persönlichkeiten. Eine Reform ohne Heilige gibt es nicht. Heilig ist, wer heroische Tugend besitzt. Eine Tugend ist heroisch, wenn sie nach Kraft und Dauer das Durchschnittsmaß hinter sich lässt. Das reformerische Wollen entsteht nun zuerst immer in einzelnen Personen und kleinen Kreisen. […] In ihrer hochgemuten Gottesliebe fühlen sie sich gedrängt, Gottes Sache ganz zu ihrer eigenen zu machen, sich in seinem Dienste auszuzeichnen. Die Ehre Gottes wird das leuchtende Ziel ihres Lebens und Strebens. Sie können es nicht ertragen, dass der Name Gottes nicht in der rechten Weise angebetet und verherrlicht wird. Überall um sich herum sehen sie Durchschnittlichkeit und Mittelmaß, Mattheit, Müdigkeit, Trägheit im Dienste Gottes, Behagen, Bequemlichkeit und Opportunismus, Anbiederung an die im Argen liegende Welt, Anpassung an die Maximen jener, deren Gott der Bauch ist. Diese Beobachtung lässt ihnen keine Ruhe, sie drängt sie zur Tat. Sie beginnen, Gleichgesinnte zu suchen und mit ihrer Begeisterung die ihnen erreichbaren Menschen anzustecken. Die Glut ihres Eifers entzündet andere. Diese wiederum reichen die Fackel weiter. Es entsteht eine Bewegung, eine Strömung, ein Sturm, und die Seele von all dem ist der Geist Gottes. Die Anhänger der Reform folgen dabei einem Programm, einem Katalog von Forderungen, die in die Praxis umgesetzt werden müssen, falls die Kirche erneuert werden soll. Dieses Programm ist im Allgemeinen knapp, aber konkret und eindeutig. Für seine Punkte wird kompromisslos gekämpft. Von außen und von innen erheben sich Kräfte, die das Reformvorhaben abschwächen und reduzieren wollen. Die Träger der Reform lassen jedoch daran nicht rütteln. Sie wissen, dass Verwässerung der Anfang vom Ende ihrer Bewegung ist. Weil die von reformerischem Willen Ergriffenen gläubiger, frömmer, dienstwilliger, demütiger, eifriger und entschiedener sind als die übrigen Christen, beginnen sich an ihnen die Menschen zu scheiden. Die einen lassen sich ergreifen, gehen in sich und schließen sich ihnen an. Die anderen lehnen sie ab, suchen sie herabzusetzen, in Misskredit zu bringen, ja versuchen, die kirchliche Obrigkeit gegen sie zu mobilisieren; denn sie fühlen sich durch die Reformer gestört, im Lebensgenuss behindert, aus der furchtbaren Ruhe eines verbildeten Gewissens aufgescheucht. So kommt es zum Konflikt, der für jede Reformbewegung unvermeidlich ist. Auf der einen Seite stehen die vom Heiligen Geist entzündeten, bußstrengen Vorkämpfer und Anhänger der Reform, auf der anderen die matten, resignierten Vertreter des Arrangements mit der Welt. Diese vermögen aber den Lauf der Reform nicht aufzuhalten, nur zu hemmen. Denn der Unterschied zwischen den Repräsentanten des bequemen Kompromisses und den Streitern für die wirkliche Nachfolge des armen Herrn Jesus Christus ist so auffällig, dass er von den Gutwilligen nicht übersehen werden kann und seine weckende Kraft entfaltet.“
Diese gottergriffenen, heiligen Persönlichkeiten braucht es notwendig. Wo sind sie?
Wir sind dazu berufen, solche Persönlichkeiten zu sein. Mit andern Worten: Von uns ist ein Leben des Gebets und des Opfers gefordert.
Jeder Einzelne von uns ist aufgerufen, aus Liebe zur Kirche und zum Heil vieler Menschen ernst zu machen mit der Erneuerung des eigenen Lebens. Wir können viel bewirken, müssen es uns aber etwas kosten lassen! Lippenbekenntnisse helfen niemandem! Nur dann werden wir ausstrahlen.
Wenn wir uns mehr Zeit für den Austausch auf WhatsApp und anderen Kanälen nehmen als für das persönliche Gebet (und das Lesen und Betrachten des Evangeliums) – dann brauchen wir nicht meinen, wir würden wirksam zur Verbesserung der Situation beitragen. Dann müssen wir zuerst unsere Grundeinstellung anpassen. Einen Grad mehr in der Liebe zu Gott zu erlangen, nützt der eigenen Seele und der Kirche mehr als alles andere. Das ist die Lehre der Heiligen. (Diese grundlegende Einsicht in den Kern des Evangeliums entfaltet der hl. Franz von Sales in seiner Abhandlung über die Gottesliebe „Theotimus“.)
Unser Herr fordert von uns – der Vergleich mit dem Balken im eigenen und dem Splitter im fremden Auge (Mt 7,3–5) spricht hier Bände – ein entschiedenes Anpacken der eigenen Fehler. Das jeden Tag konsequent zu tun, bringt uns voran.
Die Umstände dürfen nie eine Entschuldigung dafür sein, den Leidenschaften die Zügel schießen zu lassen. „Der Zorn des Menschen tut nicht, was vor Gott recht ist“ (Jak 1,20). Das ist gerade in diesen verrückten Zeiten von großer Bedeutung.
Wir müssen für uns den Nutzen wiederentdecken, den regelmäßige Opfer der Seele bringen. Wer das Wort „Opfer“ altmodisch und abstoßend findet, mag es „Fitnesstraining für den Willen“ nennen oder wie auch immer. Wie schnell sind wir doch dabei, immer gerade der augenblicklichen Laune nachzugeben. Ständig warten irgendwelche Süßigkeiten oder „Snacks“ in allen Variationen – und wie leicht geben wir nach. Wir richten unseren Alltag nach unserem augenblicklichen Wohlbefinden ein, und wenn das einmal nicht möglich ist, verlieren wir die Fassung. Der Verlust der Contenance wegen Kleinigkeiten ist das beste Zeichen, dass unser Bußgeist verkümmert ist. Dann gilt es, gegenzusteuern! Der Phantasie seien im Ausdenken von kleinen Einschränkungen große Freiheiten gewährt.
Gott erwartet viel von uns.
Das lässt sich auch motivierender ausdrücken: Gott traut uns viel zu! Er traut uns zu, gottergriffene, heilige Persönlichkeiten zu werden. Wir haben daher viel zu tun – packen wir es an!
Vertrauen wir dabei ganz auf das heiligste Herz Jesu und auf die Hilfe der Rosenkranzkönigin.