50 Jahre FSSPX: Ein Interview mit Pater Patrice Laroche

Quelle: Distrikt Deutschland

Pater Patrice Laroche trat 1973 ins Priesterseminar St. Pius X. in Ecône ein. Der Franzose wurde 1978 von Erzbischof Marcel Lefebvre zum Priester geweiht. Von 1979 bis 1984 war er Generalsekretär der Priesterbruderschaft St. Pius X. Der promovierte Kanonist unterrichtet aktuell am Priesterseminar Herz Jesu in Zaitzkofen Moraltheologie und Kirchenrecht.

Wie sind Sie zur Priesterbruderschaft gestoßen?

Pater Patrice Laroche: Meine Eltern waren beide aktiv in der Cité catholique, die Jean Ousset gegründet hatte und hatten die Exerzitien des hl. Ignatius gemacht. Sie besuchten jedes Jahr die „Kongresse“ der  Cité catholique in Lausanne, die von diesen guten Laien organisiert wurden, mit dem Ziel, die Gesellschaft nach dem Natur- und christlichen Recht zu gestalten.

Auch Erzbischof Marcel Lefebvre, der von Dakar aus dem programmatischen Buch „Pour qu’Il règne“ [Damit er herrsche] von Jean Ousset (1914–1994) das Vorwort geschrieben hatte, besuchte die Kongresse in Lausanne.

Wir bekamen dann die ersten „Briefe an die Freunde und Wohltäter“ der 1969/70 neu entstandenen Priesterbruderschaft St. Pius X. zugeschickt und wurden so über die Entwicklung des Seminars von Ecône informiert.

Für mich war es klar, dass ich, wenn ich in ein Seminar eintreten würde, nur in Ecône eintreten würde. Was ich tatsächlich gleich nach dem Abitur im Jahr in 1973 getan habe.

Sie gehören zu den zehn nach dem Eintrittsalter ältesten Mitgliedern der Priesterbruderschaft St. Pius X. Sie haben also den Beginn und die Ausbreitung der Priesterbruderschaft auf allen fünf Kontinenten verfolgt. Als Generalsekretär im Generalhaus von 1979 bis 1984 haben Sie dieses Wachstum intensiv begleitet. Was für Gedanken haben Sie kurz vor dem 50. Geburtstag der Bruderschaft, den wir am 1. November begehen

Pater Patrice Laroche: Obwohl ich als Nr. 10 der zehn ältesten Mitglieder am letzten Generalkapitel teilnahm, bin ich in tatsächlich nicht der zehnte dieser von den Statuten genannten Gruppe, sondern der zwölfte. Denn Pater Franz Schmidberger und Weihbischof Bernard Tissier de Mallerais sind älter, werden aber nicht bei den „zehn Ältesten“ gezählt, weil sie, der eine als Bischof, der andere als frühere Generalobere, schon de iure dem Generalkapitel als Kapitulare angehören.

Als ich in Ecône eingetreten bin, hatte die Priesterbruderschaft nur drei Häuser: Ecône, das Haus von Fribourg und ein Haus in England. Im Brief an die Freunde und Wohltäter Nr. 5 (3. Oktober 1973) schrieb Erzbischof Lefebvre: „Nach unseren Häusern in Freiburg (Schweiz) und in Ecône haben wir nun auch in London Fuß gefaßt. Außerdem werden wir uns, wie gesagt, binnen kurzem unseres Hauses in Rom erfreuen können, um unseren jungen Priestern zu ermöglichen, von allen Reichtümern des wahren Rom, den Reichtümern der Tradition, der Zeugnisse des Lehramtes und der Archäologie Nutzen zu ziehen und in ihnen eine tiefe Anhänglichkeit an den Bischof von Rom, den Nachfolger des hl. Petrus, zu erwecken. Zugleich hoffen wir, bald auch noch in anderen Hauptstädten Niederlassungen zu gründen. Denn überall können wir uns auf die wirksame Mithilfe seitens unserer Freunde und Wohltäter stützen.“

Auf die Frage: „Wie viele Mitglieder zählt die Bruderschaft?“ antwortete ihr Gründer im gleichen Brief: „Zurzeit 32 Mitglieder, von denen 12 Priester sind. Von den 12 Priestern bekleiden 3 ein priesterliches Amt außerhalb unserer Häuser, 3 setzen ihre Studien fort, 6 sind Professoren in Ecône.“

Und auf eine weitere Frage: „Wie steht es mit Ihrem Seminar St. Pius X?“ heißt es: „Mit den 36 Neuanfängern erreichen wir nunmehr eine Seminaristenzahl von 95, die im Militärdienst Stehenden mitgerechnet. Von den 36 Neuen sind 10 aus dem englischen Sprachraum. Erstmals nehmen wir 2 Australier und 2 Kanadier auf. Und in 2 Jahren werden wir die ersten Priesterweihen von Seminaristen haben, die von Anfang an in Ecône ausgebildet wurden.“

Heute würde man auf die erste Frage antworten: „Jetzt  hat die Bruderschaft 934 Mitglieder, von denen 659 Priester sind. Und die Zahl unserer Seminaristen beträgt 189.“ Diese Antwort spiegelt aber nicht die ganze Wirklichkeit wider, weil sie nicht die vielen Priester erwähnt, die anderen Gemeinschaften angehören, die mit uns mitarbeiten oder die ihren Ursprung direkt oder indirekt Erzbischof Marcel Lefebvre verdanken. Wenn man die große Zahl der Ordensschwestern hinzufügt, ist man nicht weit von 2.000.

Gewiss hat die Priesterbruderschaft in unserer Epoche mit ihren ganz besonderen Schwierigkeiten eine beeindruckende Entfaltung erlebt. Jedoch wurde diese Entfaltung durch viele Trennungen gebremst, die durch die verschiedenen Wahrnehmungen der Krise in der Kirche bedingt wurden. Eines Tages sagte Erzbischof Lefebvre: „Die Geschichte der Bruderschaft ist auch eine Geschichte der Trennungen.“

Kurz vor dem 50. Geburtstag der Priesterbruderschaft St. Pius X. können wir Gott von Herzen danken für den besonderen Schutz, den ihr die göttliche Vorsehung gewährt hat. Wie oft haben Menschen, die sich anscheinend mit besonderer Prophetengabe ausgestattet glaubten, ihr ein baldiges Ende angekündigt!

Warum hat der Erzbischof den hl. Papst Pius X. der Bruderschaft als Patron gegeben?

Pater Patrice Laroche: Was viele vielleicht nicht wissen: Der eigentliche Name unserer Priesterbruderschaft, der ihren Auftrag bestimmt, ist nach den Statuten: „Bruderschaft der Apostel Jesu und Mariens“, nach ihrem öffentlichen Titel: „Priesterbruderschaft St. Pius X.“.

Gewiss gibt es in diesem Namen beim Erzbischof als Gründer einen monfortanischen Impuls, eine Anspielung an diese Gemeinschaft von Priestern, die der hl. Ludwig Maria Grignion von Monfort  (1673–1716) in seinen Schriften und in seinem Prière embrasée,  seinem prophetischen „Flammengebet“ beschreibt und mit den Worten beginnt: „Memento ... Sei eingedenk, o Herr, Deiner Genossenschaft, die von Anfang an Dein eigen war ...“

Die Bruderschaft ist ganz besonders unter die Schutzherrschaft Jesu Christi, des ewigen Hohenpriesters, gestellt, dessen ganzes Sein priesterlich war und bleibt, und der vor allem im Hinblick auf das Kreuzesopfer Mensch geworden ist. Sie steht ebenso unter der Führung Mariens, der Mutter des wahren Hohenpriesters und durch Ihn Mutter aller Priester, in denen sie ihren Sohn formt. So sagen es die Statuten. Die Muttergottes hat der Bruderschaft mehrfach ihren besonderen Schutz gewährt.

Erzbischof Marcel Lefebvre hat jedoch der Bruderschaft den hl. Papst Pius X. als besonderen Patron gegeben. Er wollte damit zeigen, dass wir das priesterliche Ideal in den heutigen Zeitumständen ausüben müssen. Wir müssen denselben Eifer für die Reinheit des Glaubens wie dieser heiliger Papst haben. Dieser Eifer soll den Kampf gegen die Feinde der Kirche nicht fürchten, seien sie im Inneren der Kirche wie die Modernisten, oder mögen sie von außen kommen, wie z.B. die damalige antiklerikale Regierung Frankreichs.

Sie sind durch das Datum Ihrer Versprechen ein „geborenes Mitglied“ des alle sechs Jahre stattfindenden Generalkapitels. Das Kapitel hat „die Aufgabe, nachzuprüfen, ob die Bruderschaft die Statuten gewissenhaft befolgt und ob sie sich bemüht, den Geist dieser Statuten zu bewahren (De Sodalitii administratione, Nr. 2). Die Statuten rechnen mit einer juristischen Entwicklung der Bruderschaft, aber auch mit einer bleibenden Substanz: „Man soll sich davor hüten, Anpassungen oder Neuerungen einzuführen, außer eventuell im Kapitel über die Leitung der Bruderschaft mit Rücksicht auf ihre Entwicklung“ (Nr. 2). Wie würden Sie den Geist der Statuten erklären?

Pater Patrice Laroche: Die Statuten sagen ganz klar, dass das Ziel der Bruderschaft das Priestertum und die hl. Messe ist, die man in einer übernatürlichen Sicht betrachten muss. Hier finden wir die Quelle der priesterlichen Heiligung sowie die Quelle der Fruchtbarkeit des Apostolates. Man versucht umsonst die wahre Reform der Kirche, wenn man auf materielle Bestrebungen seine Hoffnung setzt und die Quellen der Gnade vernachlässigt.

Deswegen sind Änderungen in den Statuten nur möglich auf praktischen Feldern, in Betracht auf die Entwicklung der Bruderschaft. Im letzten Generalkapitel zum Beispiel wurden die zusätzlichen Ämter von zwei Generalräten des Generaloberen eingesetzt, die für gewisse wichtige Angelegenheiten vom geltenden allgemeinen Kirchenrecht vorgesehen sind. Pater Franz Schmidberger und Weihbischof Bernard Fellay wurden dazu gewählt.

Sie sind ein promovierter Kanonist und unterrichten dieses Fach auch im Priesterseminar Herz Jesu in Zaitzkofen. Welche kirchenrechtliche Form schwebte dem Erzbischof für die Priesterbruderschaft St. Pius X. im Jahr 1970 bzw. ursprünglich vor? Eine Ordensgemeinschaft? Eine lose Weltpriestergemeinschaft?

Pater Patrice Laroche: Für die Erneuerung des Priestertums, wie sich sie Erzbischof Marcel Lefebvre nach seinem „Traum von Dakar“ vorstellte, wollte er weder eine Ordensgemeinschaft, weil die strengen Gelübde der Armut und des Gehorsams für das Apostolat ein Hindernis sein könnten, noch eine lose Weltpriestergemeinschaft. Wie er es in unseren Statuten geschrieben hat, wollte er eine Gemeinschaft gemeinsamen Lebens ohne Gelübde. Nach diesem Modell sind viele Priestergemeinschaften ab dem 17. Jahrhundert entstanden. Denken wir an die Priester von Saint-Sulpice, an die Missions étrangères de Paris [Auswärtige Missionen], oder auch an die Lazaristen des hl. Vincenz von Paul. Der Vorteil solcher Gemeinschaften ist die Einheit in der Führung und eine größere Freiheit in der Ausführung des Apostolates.

Erzbischof Lefebvre hat Sie geprägt, als Seminarist, als junger Priester, als Seminarlehrer. Was war seine bedeutendste Eigenschaft?

Pater Patrice Laroche: Die Festigkeit seines Glaubens. Dies ist allen bewusst. Weniger bekannt ist seine feinfühlige Nächstenliebe, die er auch für Menschen hatte, die objektiv seine Feinde waren. Ich habe auch bei ihm bewundert, eher im Nachhinein, die Weitsicht, die er hatte und die ihn fähig machte, die Folgen von Entscheidungen ganz präzise vorherzusehen, besonders auf der Ebene des Glaubens, z.B. die Konsequenzen der zweideutigen Texte des Konzils, der neuen Messe, des Treffen von Assisi usw., die wir jetzt vor Augen haben und die er im Voraus angekündigt und verurteilt hatte.

Freuen Sie sich über die Überführung seiner sterblichen Überreste in die Seminarkirche von Ecône, die am 24. September stattfinden soll?

Pater Patrice Laroche: Gewiss! Es wird auf unserer Seite eine kleine Anerkennung des Wirkens dieses heiligmäßigen Bischofs sein, der auch unser Gründer ist. Für die ganze Welt der Tradition wird das eine Erinnerung daran sein, dass wir ohne ihn nicht existieren würden, weil er jener ist, der „die hl. Messe gerettet hat“, wie der Exerzitienmeister Pater Ludovic-Marie Barrielle (1897–1983) zu sagen pflegte. Für die ganze katholische Kirche ist es ein Ruf nach Gerechtigkeit für das ungerechte Urteil, das einmal offiziell und unzweideutig widerrufen werden sollte.