13. Mai: Fatima Tag
Von Pater Heinrich Mörgeli
Heute vor 105 Jahren, erschien die Gottesmutter zum ersten Mal den Hirtenkindern von Fatima.
Die drei Kinder waren durch die vorhergehende Engelerscheinung und ihre eifrigen Tugendübungen gut vorbereitet, als die Gottesmutter am 13. Mai 1917 erschien.
Die Gottesmutter kündigte ihr Kommen durch zwei blitzähnliche Lichtscheine an, sodass die Kinder ein Gewitter vermuteten und die Schafe gegen die Mulde trieben. Dort schauten sie die himmlische Erscheinung in hellem Licht über einer kleinen Steineiche.
Sie spricht zu ihnen: „Fürchtet euch nicht, ich tue euch nichts zuleide.“
Lucia beginnt folgendes Zwiegespräch: „Woher kommt Eure Gnaden[1]?“
„Ich BIN vom Himmel.“
„Und was wollt Ihr von mir, Gnädige Frau?“
„Ich bin gekommen, euch zu bitten, dass ihr an den sechs folgenden Monaten jeweils am 13. zur gleichen Zeit hierherkommt. Später werde ich euch sagen, wer ich bin und was ich will. Dann werde ich noch ein siebtes Mal kommen.“
„Und ich, komme ich auch in den Himmel?“ – „Ja, du wirst dorthin kommen.“
„Und Jacinta?“ – „Sie auch.“
„Und Francisco? – „Er auch, aber er muss viele Rosenkränze beten.“
Dann fragte Lucia wegen zwei Mädchen, welche kurze Zeit vorher verstorben waren.
„Ist Maria das Neves schon im Himmel?“ – „Ja, sie ist dort.“ Sie starb mit 16 Jahren.
„Und Amelia?“ – „Sie ist im Fegfeuer bis ans Ende der Welt.“ Sie war etwas mehr als 18 Jahre alt.[2] Lucia begann zu weinen, als sie dies hörte.
Nun bringt die Gottesmutter ihre große Bitte vor:
„Wollt ihr euch Gott aufopfern[3], um alle Leiden zu ertragen, die er euch schicken wird, als Akte der Sühne für die Sünden, durch welche er beleidigt wird, und um die Bekehrung der Sünder zu erlangen?“
Lucia antwortete ohne Zögern: „Ja, das wollen wir.“
„Ihr werdet dann viel zu leiden haben, aber die Gnade Gottes wird euch Stärkung und Trost sein.“
Betrachten wir die Erscheinung und ihre Worte
Lucia berichtet in ihrer 4. Erinnerung:
Wir sahen über der Steineiche eine Dame, ganz in Weiß gekleidet, leuchtender als die Sonne, sie strahlte ein Licht aus, das heller und intensiver war als ein Kristallglas, durch welches stärkste Sonnenstrahlen leuchten. Durch die Erscheinung überrascht, standen wir still. Wir waren ihr so nahe, dass wir uns im Licht befanden, das sie umgab und das von ihr ausging, etwa eineinhalb Meter von ihr entfernt. – Diese Erscheinung U. L. Frau tauchte uns erneut in die übernatürliche Atmosphäre (vgl. Engelserscheinungen) ein, aber auf eine viel sanftere Weise. Anstelle jener Vernichtung vor der göttlichen Gegenwart, die uns damals zur Erde niedersinken ließ und selbst leiblich schwächte, gab uns diese einen tiefen Frieden, eine überbordende Freude, welche uns nicht hinderte, sogleich über das Geschehene miteinander zu sprechen.“
Schon bei ihrer ersten Anrede ‚Fürchtet euch nicht‘ erkennen wir die mütterliche Güte Unserer Lieben Frau. Sie zeigt sich ihren Kindern in sanftester Milde, welche Zutrauen und himmlische Freude bewirkt. Wie könnte sie uns etwas zuleide tun?
Auch ihre erste Antwort „Ich BIN vom Himmel“ hat eine tiefere Bedeutung. Sie hätte sagen können, „ich komme vom Himmel“. Sie will uns aber bewusst machen, dass sie wie ein wesentlicher Teil des Himmels ist, DIE ZIERDE des Himmels als jenes Geschöpf, das Gott mehr als alle Engel und Heiligen verherrlicht.
Sie bittet dann die Kinder, bis zum Oktober jeden 13. herzukommen, weil ihre Botschaft so bedeutsam und umfangreich ist, dass sie diese nur nach und nach mitteilen kann. Die Kinder werden dadurch wirklich in die Schule der Gottesmutter genommen.
Die Erscheinung führt die Kinder zum Himmlischen, deshalb bringen sie die entscheidenden Fragen nach ihrem ewigen Heil vor. Diese christlich geprägten Kinder beteten jeden Tag zu Gott, einmal in den Himmel zu kommen.
Die Gottesmutter zeigt ohne Umschweife auch den Ernst des Lebenskampfes. Es ist die Rede von den Letzten Dingen: Tod, Himmel und Fegfeuer. Während gemäß ihrer Mitteilung Maria das Neves schon den verdienten Lohn im Himmel empfangen hat, wird Amelia für ihr Vergehen im Fegfeuer furchtbar gestraft; leichtsinnig zu sündigen hat schwere Konsequenzen!
Beachten wir die Bedingung für den himmlischen Lohn für Francisco: ‚er muss viele Rosenkränze beten‘. Die Knaben haben in diesem Alter normalerweise weniger Neigung zum Religiösen als die Mädchen. An der begeisterten Reaktion Franciscos können wir jedoch ablesen, wie sehr er von der Gnade der Gottesmutter bewegt wurde. Lucia berichtet: „Als wir Francisco erzählt hatten[4], was die Dame gesagt hatte, war er überaus glücklich, indem er seine Freude ausdrückte über das Versprechen, in den Himmel zu kommen. Er kreuzte die Hände über seiner Brust und rief: ‚Oh Unsere Liebe Frau, ich werde so viele Rosenkränze verrichten, wie Sie wünschen!‘ Und seitdem hatte er die Gewohnheit, sich von uns zu entfernen, um still und eifrig seinen Rosenkranz zu beten.“
„Wollt ihr euch Gott aufopfern …?“
Es ist bemerkenswert, wie die Gottesmutter gleich zu Beginn auf das Wesentliche ihrer Botschaft zu sprechen kommt. Sie verlangt nicht zuerst Gebete, sondern vor allem Opfer und die Bereitschaft, Leiden, die Gott schicken wird, anzunehmen. Warum bereitwillige Selbstaufopferung und Leiden? Unser Herr hat uns auch durch sein Leiden und Sterben von der Sünde losgekauft, und wir, als seine Jünger und Freunde, dürfen daran teilnehmen. Der hl. Ludwig Maria Grignion bezeichnet die Kreuze und Leiden hier auf Erden als die größten Gnaden und Gunstbezeugungen des Himmels[5].
Die Einladung, durch von Gott geschickte Leiden Sühne zu leisten und so für die Rettung der Seelen mitzuwirken, war dennoch eine ernste Prüfung für die Kinder. Leiden sind immer schmerzlich, und man kann sie als solche nicht lieben. Wenn man jedoch deren Frucht betrachtet, Gott dadurch trösten zu können und unsterbliche Seelen zu retten, nimmt man sie aus Liebe zu Christus an. Es ist bewundernswert, dass die Kinder das verstanden hatten, und wie Lucia im Namen aller mit Entschlossenheit antwortete: „Ja, das wollen wir.“
Die Kinder hatten sich im Opferbringen schon geübt, der Engel verwendete ja bei seiner zweiten Erscheinung dieselben Worte: „Bringt alles, was ihr könnt, Gott als Opfer dar, als Akt der Wiedergutmachung für die Sünden, durch die Er beleidigt wird, und als Bitte um die Bekehrung der Sünder. … Vor allem nehmt an und tragt mit Ergebung die Leiden, die der Herr euch schicken wird.“ Sie hatten schon damals erkannt, wie sehr Gott uns liebt und wie sehr er geliebt sein will und daß der Herr um der Opfer willen die Sünder bekehrt.“
Aus dieser Sicht ist das spontane und aus tiefer Überzeugung kommende ‚Ja, das wollen wir‘ Lucias gut verständlich. Beachten wir, dass die Gottesmutter auch hier wieder zuerst um Sühne für die Beleidigungen gegen Gott bittet, und erst in zweiter Linie um Opfer für die Bekehrung der Sünder!
Unsere Liebe Frau bestätigt nun dieses Ja sofort mit der Ankündigung von Leiden, zugleich aber verspricht sie ihnen die notwendige Gnade als Stärkung und Trost. Wenn Gott Prüfungen oder Leiden zulässt, bietet er als liebender Vater die notwendige helfende Gnade dazu an, aber wir müssen im Gebet seine Hilfe erbitten.
Die Gottesvision
Lucia berichtet in ihrer 4. Erinnerung: „Als sie die letzten Worte ‚Die Gnade Gottes wird euch Stärkung und Trost sein‘ aussprach, öffnete sie zum ersten Mal die Hände und übermittelte uns ein so starkes Licht, wie ein Widerschein, der von ihren Händen ausging. Es drang uns in die Brust und bis in die tiefste Tiefe der Seele, sodass wir uns selbst in Gott, der dieses Licht war, schauen konnten, viel klarer, als wir uns im besten Spiegel hätten sehen können. – Durch eine innere Anregung, die uns ebenfalls mitgeteilt wurde, fielen wir nun auf die Knie und wiederholten ganz innerlich: O Heiligste Dreifaltigkeit, ich bete Dich an; mein Gott, mein Gott, ich liebe Dich im heiligsten Sakrament. – Wir warfen uns vor dem Geheimnis Gottes nieder. Wir wurden mit einer solch gewaltigen Gotteserkenntnis erfüllt, dass es nicht einfach ist, darüber zu sprechen.“
Diese Schilderung ist in verschiedener Hinsicht höchst aufschlussreich
Der Zusammenhang der Vision im Anschluss an die freiwillige Bereitschaft der Kinder, alles für Gott zu leiden, offensichtlich. Die Ganzhingabe der Kinder ist wie eine Bedingung, damit Gott auch seinerseits ihnen alles schenken kann. Sodann ist dieses Schauen einerseits ein Beweis, wie Gott sie stärken wird, aber auch eine Belohnung für ihre Hingabe.
Die Vision der Gottheit wird den Kindern eindeutig durch die Vermittlung Mariens geschenkt, sichtbar durch die von ihren reinsten Händen ausgehenden Gnadenstrahlen. Sie hat die Macht, uns das Licht der Erkenntnis Gottes zu schenken und uns zu Gott hinzuführen, als Vermittlerin aller Gnaden Gottes.
Es ist eine Gottesvision, aber ganz anders, als wir uns das vorstellen, oder wie sie z.B. im Alten Testament vom Propheten Isaias geschildert wird, der die Gottheit hoch erhaben auf einem Throne, umgeben von Seraphim, erblickte (vgl. Isaias 6. Kapitel). Sie schauten Gott in der Tiefe ihrer Seele und erkannten sich selbst in Gott, wie in einem Spiegel. Ist das nicht eine Erfahrung der Einwohnung der Dreifaltigkeit in unserer Seele? Christus erklärt das so: „Wer mich liebt, der bewahrt mein Wort; Mein Vater wird ihn lieben und wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (vgl. Joh 14,23).
Die Gottesmutter will uns Gott offenbaren, wie er wesentlich ist: als die heiligste Dreifaltigkeit im unendlichen Geheimnis ihrer Heiligkeit und ihrer trinitarischen Liebe. Die einzig richtige Antwort sollte sein: Glaube, Staunen, Ehrfurcht und Anbetung.
Maria öffnet uns den Blick auch auf den größten Erweis seiner Liebe: seine lebendige Gegenwart im heiligsten Altarssakrament. Auf diese Liebe dürfen wir antworten durch Demut, Anbetung, Dankbarkeit, vor allem aber Liebe und Hingabe unserer selbst.
Francisco war von dieser Vision besonders beeindruckt: „Was ich am meisten liebte, das war, Unseren Herrn zu sehen in dem Licht, das Unsere Liebe Frau uns in die Brust gesandt hat. Ich liebe Gott so sehr; aber er ist so traurig wegen der vielen Sünden. Wir dürfen nie mehr eine begehen.“ Die Gottesmutter zeigt uns Gott in seiner „Traurigkeit“ über unsere Sünden. Das rührte diese Kinderherzen zu noch größerem Eifer in der Gottesliebe und Sühne, um Gott zu trösten. Man sah dann tatsächlich Francisco in der Dorfkirche in Fatima stundenlang vor dem Heiland in liebender Anbetung versunken.
Es ist erstaunlich, dass die Kinder bei dieser ‚gewaltigen Gotteserkenntnis‘ keinerlei Schrecken, sondern vielmehr Liebe und Beglückung empfanden. Das ist gewiss ein Beweis, dass ihre Seelen ganz rein und geläutert waren, sie waren ganz in Gott, durch und durch geheiligt!
Bevor die Gottesmutter die Kinder verließ, bat sie, täglich den Rosenkranz zu beten, um den Frieden der Welt und das Ende des Krieges zu erlangen.
Der Rosenkranz ist das Mittel, uns Maria immer mehr zu nähern und ihr Gnadenlicht zu erlangen, damit sie auch uns die großen Geheimnisse der göttlichen Dreifaltigkeit, des allerheiligsten Altarssakramentes sowie den Sühnegedanken verstehen lässt. So werden wir angespornt, die schweren Beleidigungen gegen die Heiligkeit und Liebe Gottes durch größeren Eifer in der Gottesliebe und durch die Hingabe unserer Herzen wiedergutzumachen und dem unbefleckten Herzen Mariens zu helfen, Seelen zu retten.
Anmerkungen:
[1] Portugiesisch: Vossemecê
[2] Gemäß den Nachforschungen von P. Martins dos Reis starb Amelia nach einem bedauernswerten Fall. Sie ließ sich von einem jungen Mann verführen und verlor ihre Jungfräulichkeit, sie konnte zwar beichten, sich jedoch von dieser Sünde nur mangelhaft lösen und diese nicht abbüßen.
[3] Portugiesisch: Quereis ofercer-vos a Deus…
[4] Francisco schaute nur die Erscheinung und hörte lediglich, was Lucia sprach, während Jacinta auch hörte, was die Gottesmutter mitteilte. Lucia allein sprach mit der Erscheinung.
[5] Der hl. Ludwig Maria erklärt: „Wenn die vollkommene Andacht zur allerseligsten Jungfrau den Weg zu Christus erleichtert, woher kommt es denn, dass ihre treuesten Diener so viele Gelegenheiten zum Leiden haben? Ich antworte, dass die getreuen Diener der heiligen Jungfrau als ihre größten Lieblinge von ihr auch die größten Gnaden und Gunstbezeugungen des Himmels empfangen, und das sind eben die Kreuze. Ich behaupte aber auch, dass gerade die Diener Mariens diese Kreuze mit größerer Leichtigkeit, mit mehr Verdienst und mehr zukünftiger Herrlichkeit tragen. Denn diese gute Mutter macht all diese Kreuze erträglicher, sie versüßt jedes Kreuz“ (vgl. Wahre Andacht Nr. 153–154).