9. Station: Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz

Die aktuelle Situation belastet uns, sowohl ökonomisch, als auch psychisch und menschlich. Die einen bäumen sich auf und übertreten die vorgegebenen Regeln, die anderen geben sich einem Fatalismus hin, wieder andere flüchten sich in die Illusion, mit der Impfung und der wärmeren Jahreszeit löse sich das Virusproblem in Luft auf.

Allen drei Gruppen gemein ist die Kapitulation vor dem Kreuz!

Christus fällt zum dritten Mal! Ohne Murren oder Klagen steht Er auf, umfasst das Kreuz, legt es zum wiederholten Mal auf seine Schultern und geht den Kreuzweg weiter. Er kennt seine Aufgabe und wird sie bis zum Ende erfüllen. Der Herr stellt sich der Herausforderung, verwirklicht den Sinn seines Lebens, kehrt sich zum Vater hin und spricht: „Vater, in Deine Hände empfehle ich meinen Geist – Alles ist erfüllt!“

Wir hingegen werden nur leicht geprüft und sind erschüttert!

Der Grund unseres Versagens liegt im Mangel an Glauben und in der falschen Auffassung vom Leben und dem damit notwendig verbundenen Wachstums- und Reifeprozess auf Gott hin.

Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Emil Frankl, der Gründer der Logotherapie (Sinngebungstherapie) wurde am 26. März 1905 in Wien geboren. Eines seiner bekanntesten Werke ist das im Jahr 1946 erschienene Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“. In diesem Werk schildert Frankl seine Erlebnisse und Erfahrungen in vier verschiedenen Konzentrationslagern, darunter in Auschwitz.

Opfer und Zeuge der größten Schrecken fasst er zusammen:

Ich halte es für ein gefährliches Missverständnis der geistigen Hygiene, anzunehmen, dass der Mensch in erster Linie ein Gleichgewicht oder, wie es in der Biologie heißt, ‚Homöostase‘, d.h. einen spannungslosen Zustand, benötigt. Was der Mensch tatsächlich braucht, ist kein spannungsloser Zustand, sondern das Streben und Kämpfen um ein lohnendes Ziel, eine frei gewählte Aufgabe. Was er braucht, ist nicht die Entlastung um jeden Preis, sondern den Ruf einer möglichen Sinngebung, die darauf wartet, von ihm erfüllt zu werden. Was der Mensch braucht, ist keine Homöostase, sondern das, was ich ‚Noö-Dynamik‘ nenne, d.h. die existenzielle Dynamik in einem polaren Spannungsfeld, in dem ein Pol durch eine zu erfüllende Bedeutung und der andere Pol durch den Mann dargestellt wird ... Wenn Architekten einen Bogen verstärken wollen, erhöhen sie die Belastung, die auf ihn ausgeübt wird. Dadurch werden die einzelnen Teile fester miteinander verbunden ... Nachdem ich die vorteilhaften Auswirkungen der Bedeutungsorientierung gezeigt habe, wende ich mich dem nachteiligen Einfluss dieses Gefühls zu, über das sich heute so viele Patienten beschweren, nämlich dem Gefühl der totalen und endgültigen Sinnlosigkeit ihres Lebens. Ihnen fehlt das Bewusstsein für eine Bedeutung, für die es sich zu leben lohnt. Sie werden von der Erfahrung ihrer inneren Leere heimgesucht, einer Leere in sich selbst; Sie befinden sich in einer Situation, die ich als ‚existenzielles Vakuum‘ bezeichne.

Viktor Emil Frankl ist Jude, nicht Christ, und dennoch führen ihn seine Studien hinein in das Zentrum des Geheimnisses von Kreuz und Erlösung, das der hl. Paulus in seinem Brief an die Korinther wie folgt, zusammenfasst:

Das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die wir errettet werden, ist es Gottes Kraft.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung und die tägliche Erfahrung im Umgang mit seinen Patienten führen zur Einsicht:

Das Leiden hat nicht nur ethische Dignität – es hat auch metaphysische Relevanz. Das Leiden macht die Menschen hellsichtig und die Welt durchsichtig. Das Sein wird transparent hinein in eine metaphysische Dimensionalität.

Anders als andere Vertreter seines Faches sieht Frankl den Wert des Leidens für einen tief persönlichen Glauben.

Der religiöse Mensch erlebt das Dasein nicht nur als konkrete Aufgabe, sondern als persönlichen Auftrag. So sieht er die Aufgabe transparent auf die Transzendenz hin. Er weiß darum, dass Gott von ihm etwas erwartet.

Das Kreuz reinigt den Menschen, macht ihn offen auf Gott hin. Am Ende wird der, der immer wieder sein Kreuz umfasst, es aufhebt, auf seine Schultern legt und weiter geht, an diesem Kreuz wachsen. Er erfüllt sein Leben mit Sinn und begegnet im Kreuz seinem Gott.