11. Station: Jesus wird ans Kreuz genagelt

Christus öffnet seine Arme und lässt sich freiwillig ans Kreuz nageln. Es ist der Wille des Vaters, dem er sich ohne Fragen gehorsam unterwirft.

Wenn wir das Leiden Jesu betrachten, lernen wir, uns mit unserem eigenen Leid auszusöhnen. Das Kreuz ist Teil jeden Lebens. Es gehört zu mir. Ich suche es mir nicht aus. Es trifft mich. Und es fordert mich auf, nachzudenken. Es weckt entscheidende Fragen: Warum ich? Warum dieses Leid und nicht ein anderes? Was ist der Sinn dieser Prüfung? Was ist mein Leben, dass es nicht ohne Leid auskommt. Wer bin ich, dass ich so an mir selbst leide? Aber vor allem stellt sich die Frage nach dem Gottesbild. Wer ist dieser Gott, der mir dieses Leid zumutet?

Jeder Mensch will glücklich sein. Das erleben wir heute zur Genüge. Das Verlangen, sich frei und unbehindert zu bewegen, das Bedürfnis andere ohne Einschränkungen zu treffen, ... zeigen unsere Sehnsucht nach Befriedigung. Doch wer immer nur seinem Glück nachläuft, der verfehlt es. 

Sicher ist und bleibt das alte Sprichwort „jeder ist seines Glückes Schmied“ wahr. Wir tragen selbst zu unserem eigenen Glück bei. 

Es wäre ein Fehler, zu erwarten, Luxus, Geld, Sport, Reisen, Ablenkung machten uns glücklich oder zu hoffen, eine Spritze von Biontech oder Astra Zeneca enthielte Seligkeitsviren. Glück kommt nicht von außen, und es geschieht nicht einfach. Es setzt eine innere Einstellung voraus: die Haltung, des Sichbeschenkenlassens. Wo ich lerne, dankbar anzunehmen, was der Alltag, mein Nächster,  Gott mir schenkt, öffnet sich die Tür zu einem erfüllten Leben. Leid und Dunkelheit, Krisen und Scheitern gehören notwendig zum Leben und sind kein Hindernis zum Glück.

Leiden können in einem Menschenleben traurige Verheerungen anrichten: das Gemüt verhärten, die Willenskraft brechen, ins Laster oder in die ein oder andere Art der Abhängigkeit treiben, ja sogar den Glauben mit der Wurzel ausreißen. Aber daran ist nicht die Prüfung schuld. Die Versuchung verursacht die Sünde nicht und ist keine Rechtfertigung für sittliche Verfehlungen. Der deutsche Mystiker Johannes Ruysbroek verdeutlicht dies an einem simplen Beispiel: „Wird ein Mensch im Leiden ungeduldig, so bringt nicht das Leiden ihm die Bosheit zu, sondern es offenbart nur die Ungeduld, die in ihm verborgen war. Ihm geschieht wie einem kupfernen, übersilberten Pfennig: Ehe diese in das Feuer kommt, scheint er klares Silber zu sein; wenn er aber in das Feuer kommt, so offenbart er sich als kupfern. Doch nicht das Feuer macht ihn kupfern, sondern es zeigt nur, dass er unter dem Scheine des Silbers Kupfer war.“

Unglück und Leiden treten uns zunächst herausfordernd in den Weg und lassen keine Wahl: Wir müssen Stellung nehmen und reagieren. Das Leiden ist ein Übel und weckt im Menschen immer Widerwillen und Ablehnung. Es verursacht unweigerlich negative Gefühle. Die menschlichen Reaktionen sind Gegenwehr, Flucht oder fatalistische Annahme. Im Angesicht des Kreuzes wird nur die übernatürliche Klugheit die rechte dankbare Antwort finden. In den meisten Fällen heißt diese Geduld und Ergebung.

Diese Namen könnten missverstanden werden. Sie stehen nicht für Schwäche und Verzicht auf den eigenen Willen. Christliche Geduld und Ergebung sind Tugenden und darum kraftvoll, heldenhaft. Sie spüren den Schmerz, aber verschließen sich nicht in sich selbst. Sie sind groß und richten den Blick auf Gott, wachsen über sich selbst hinaus. In seiner Gegenwart sind sie frei, und um Seinetwillen können sie das Leid annehmen. 

Wollen, was Gott will, das ist das Wesen der Geduld. Darin beruht ihre Kraft, ihre befreiende und beruhigende Wirkung. Im Unglück wollen, was Gott will, stellt uns über die Zeitumstände, macht uns dem Leiden gegenüber frei und unabhängig.

Bei der Betrachtung des Kreuzweges bewundern wir die Ruhe und Souveränität Christi. Vordergründig beherrschen Pontius Pilatus, die Soldaten, die Hohepriester und die johlende Menge die Situation auf dem Kalvarienberg. Sehen wir genauer hin, nehmen wir wahr, wie klein und erbärmlich ihre Motive und ihr ganzes Handeln sind. Sie nageln Ihn ans Kreuz, berauben Ihn seiner äußeren Freiheit. Er hingegen ist innerlich groß: Verzeiht seinen Peinigern, verspricht dem guten Schächer das Paradies, und spricht am Ende in tiefem inneren Frieden „Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist.“